Kultur: Sie war nicht allein
Lesung erinnerte an Potsdamer Jeanne d’Arc
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Das einzige Mädchen war Eleonore Prochaska nicht, das sich mit einer Waffe in der Hand fürs Vaterland einsetzte. Katharina Lanz und Friederike Krüger hielten es genauso, Anna Lühring diente unter dem Pseudonym Eduard Kruse sogar im gleichen Korps wie Eleonore, die Potsdamerin, bei Lützows wilden verwegenen Jägern. Warum eigentlich ist der Ruhm der Potsdamer Jeanne d’Arc mit den Jahren gewachsen, während die Erinnerung an die anderen tapferen Jungfern völlig verblasst ist? Mit solchen, etwas weiterführenden Fragen hätte sich die neue Lesereihe des Hans Otto Theaters am Sonntag vor 30 Zuhörern vielleicht beschäftigen können, als es darum ging, des 200. Todestages der Prochaska einzugedenken.
Die Schauspieler Zora Klostermann, Holger Bülow, Peter Pagel und Friedemann Eckert trugen mehr oder weniger authentische Texte aus der Zeit der Befreiungskriege von 1813 bis 1815 vor. Mehr gesellschaftlich-militärisches Umfeld als biografisches Material, davon ist nicht viel erhalten. War auch nicht schlecht, was man einzeln oder im Ensemble zur Musik von Beethoven oder alten Liedern wie „Lützows wilde verwegene Jagd“ zum Besten gab. Nachdem die Gute tapfer und tollkühn gefochten und ihre multiplen Verdienste mit Gewehr, Nähnadel, Kochtopf und Trommel genugsam gewürdigt waren, kam der Bericht ihres letzten Kämpfens und Sterbens.
Alles begann mit dem Männerchor von der „Freiheit, die ich meine“, was aber bald ausgeblendet wurde, sodass man nicht erfuhr, welche der vielen Freiheiten denn hier gemeint war. Dann die Bestimmung der allgemeinen Lage um 1813, Deutschlands Schwäche war ja Napoleons Stärke. Auf der anderen Seite bewirkte Friedrich Wilhelm III. Zögern die Aktivierung, dass der Bürger die Initiative selbst ergriff und Freikorps bildete, Freiwillige also, wie Eleonore Prochaska. Immerhin verkaufte die 1785 in Potsdam Geborene ihre Kleider, Hemden und Schmuck, um aus eigener Kraft die militärische Ausrüstung eines Mannsbilds zu kaufen, Gewehr inklusive. Unter dem Namen August Renz kam sie zu Lützows schwarzen Jägern, die durch ihre Guerilla-Taktik und ihre Tollkühnheit unvergessen sind. Eindrucksvoll, wie da fürs jeweilige Vaterland gehauen und gestochen wurde.
In der erbittert geführten Schlacht an der Göhrde bei Lüneburg wurde Eleonore Prochaska am 5. Oktober 1813 tödlich verwundet. Erst jetzt beichtete sie: „Herr Leutnant, ich bin ein Mädchen!“ Genau so eines wie die bewaffneten Frauen in Tirol oder Spanien, davon wusste und schrieb sie ja dem Bruder, ihn bittend, dem Vater ihren Entschluss zu erklären. Er war selbst ein Soldat. Ihr Gruß: „Ehrenvoll oder nie siehst du mich wieder!“ Damals war der Glaube an König, Gott und Vaterland ungebrochen, sogar die Seele galt noch etwas. Man kämpfte gegen Napoleon, nicht gegen den preußischen Thron, aber das kam nicht so deutlich heraus.
Will das Theater hier eine neue Reihe etablieren, darf es intelligenter geschehen. Dieser Auftakt verließ die ausgelatschten Pfade nie. Man dümpelte eine Stunde lang nur in seichten und sicheren Gewässern. Zuletzt wurde dann ausgerechnet Friedrich Engels um Einschätzung der Befreiungszeit gebeten. Toll, war der nicht ein Feind aller Throne? Fazit: Wer an sein Material keine Fragen stellt, der bekommt auch keine Antworten! Gerold Paul
Gerold Paul
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