Kultur: Sind wir nicht alle ziemlich yayoo?
Herausfordernder Ethno-Pop: Zap Mama aus Belgien im Nikolaisaal
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Auf die Bühne des Nikolaisaals stolziert am Freitagabend eine Südstaatenmatrone oder karibische Bordellbesitzerin. Eine selbstbewusste Frau in knöchellangem, altrosa Kleid mit Puffärmeln und Rüschenkorsage. Zudem wirbelt sie einen für einen Auftritt in einer tanzlastigen Show höchst ungeeigneten rosa Stoffbeutel durch die Gegend. Eine lautstarke Dunkelhäutige, nach deren Pfeife die Menschen tanzen, erfahren in den Kulthandlungen des Voodoo, die gefallenen Mädchen Unterschlupf unter ihren Rockzipfeln gewähren kann.
Marie Daulne, Gründerin und Mittelpunkt der belgischen Ethno-Pop- Formation Zap Mama, wird begleitet von zwei Backgroundsängerinnen, deren weiße Minikleider sündig eine gute Handbreit über dem Knie enden. Die drei werden zwei Stunden lang zu einer einzigen tanzenden, herausfordernden Weiblichkeit. Ein Körper, dessen Gliedmaßen sich in synchronisierten Schlangenbewegungen zu bewegen scheinen. Und natürlich: eine Stimme, zusammengelegt aus dreien. Lene Christensens Rockröhre, Tanja Daeses schwarze Soulstimme und Marie Daulne selbst, deren Organ manchmal angsteinflößend männlich klingt, ähnlich wie das einer Marla Glenn.
Gleich einer mehrköpfigen Hydra beginnen die Sängerinnen von Zap Mama ihr Publikum zu beschwören, das selten so jung war im Nikolaisaal. Mädchen mit Tüchern im Haar, junge Mütter mit ihren Säuglingen auf dem Arm. Zap Mamas Voodoo-Magie muss diese 600 jungen Leute hierher gebracht haben. Sitzen will der Großteil nur zu Anfang.
Vorbei die Zeit, in der die in Belgien groß gewordene Marie die Musik aus der Heimat ihrer Mutter (Zaire) zu A-Capella-Harmonien zusammen fügte. Obertönige Schrei- und Kiekslaute, wie der ethnologische Halbgebildete sie den Pygmäenvölkern zuordnen mag, klingen während der rhythmischen Raserei, die mit Hilfe von sechs versierten Musikern veranstaltet wird, nur ganz selten auf. Erst die letzte Zugabe lässt erahnen, warum die Gruppe, damals in anderer Formation, vor 19 Jahren der Höhepunkt jedes Afrika- oder Jazz-Festivals war.
Zap Mama sind nun das Multikulti-Clubschiff der musikalischen Animation. Afrikanische, kubanische und karibische Klischees werden laufend projiziert, so durch den gemütlich aussehenden Gitarristen Dizzy Mandjeku, dessen Gitarrenriffs so fein nach Steeldrums aus den bitterarmen Hometowns klingen. Aber nicht er wird von der Leine gelassen, sondern die ebenso herausragende Bassisitin Ida Nielsen, vom Typ her eine Ghettobraut aus New York mit wagenradgroßen Ohrringen, die ihr Instrument in der coolen Slapp-Technik des Funk bearbeitet. Oder der DJ Yassine Daulne, dessen geschwinde Finger stets einen dumpfen Clubbeat unter die Rhythmik mischen.
Das führt dazu, dass ein Hybridgemisch entsteht, das immer angeheizt werden muss, aber selten wirklich zündet. Marie Daulne und ihre beiden Co-Tänzerinnen lassen die Männer im Saal „ohohoh“ und die Frauen „nanana“ singen. Sie bitten darum, die Hände zu heben, mit ihnen zu wedeln und mitzuklatschen. Reihum improvisierte die weibliche Dreifaltigkeit dann lustvoll behauchte Kadenzen über die Namen „Bert“ und „Jan“, die sie sich von Fans aus den vorderen Reihen erschmachteten. So entstand einer der wenigen intensiven Momente in den knapp zwei Stunden, die Südstaatenmatrone hatte mit ihren beiden Zöglingen die emotionale Oberhand über ihre Zuhörerschaft gewonnen.
Sonst befand sich Zap Mama ständig im anleitenden Diskurs mit dem Saal, und irgendwie schafften sie es darüber nicht, dem an sich packenden Rhythmus noch einen besonders hübschen Refrain mit auf den Weg zu geben. „Seid ihr alle yayoo?“, fragt Marie, die Zeremonienmeisterin, auf Suaheli, was bedeute, man sei zusammen glücklich. Klar sind alle völlig „yayoo“, selten war der Nikolaisaal bereiter, sich eine auf der Bühne entstehende Ekstase zu eigen zu machen. Die Südstaatenmatrone muss etwas von ihrem Geschäft verstehen: Man wippte in ständiger Erwartung – und wurde doch nie ganz befriedigt.
Matthias Hassenpflug
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