Von Antje Horn-Conrad: Sinfonie des Lachens
Antonia Baehr lachte in der fabrik nach Noten
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Antonia Baehr ist eine komische Frau. Nicht, weil sie sich bevorzugt beim Herrenausstatter einkleiden lässt - Anzug und Krawatte stehen ihr ausgesprochen gut. Nein, sie ist komisch, weil sie sich zum Geburtstag so seltsame Dinge wie eine Lachpartitur wünscht. Einzelne Notenblätter zum Kichern, Juchzen und Prusten, geschrieben von Freunden und der Familie. Zusammen ergeben sie eine Sinfonie des Lachens, die Antonia Baer am Donnerstag in der fabrik aufführte.
Einen Dirigenten brauchte sie dazu nicht, nur einen Stuhl mit Pult. Daran nahm sie Platz, schaute mit ernster Miene erst ins Publikum, dann in die Partitur, um nach einem nur ihr selbst erklärlichen System loszulachen. Anfangs dunkel verhalten, dann hell und euphorisch. Als es rhythmisch etwas anspruchsvoller wurde, gab sie sich selbst dirigierend den Takt vor, lachte eine Weile stoisch immer in der selben tiefen Tonlage, um die Melodie schließlich kaskadenartig ansteigen zu lassen. Man merkte ihr die Konzentration an. Was sie da tat, war gar nicht zum Lachen. Erst als sie das Tempo steigerte, langsam außer Atem kam und sich im rhythmischen Ein- und Ausatmen verhaspelte, ließ sich das Publikum zu einem mitleidsvollen Lacher hinreißen.
Hier spätestens wurde klar, was das Ganze soll: Antonia Baehr führte auf verblüffend vielfältige Weise sämtliche Lautarten des Lachens vor und legte die dahinter verborgenen Gefühle frei. Denn Lachen ist keineswegs immer nur Ausdruck von Freude und Vergnügen. Es gibt das prononcierte, Macht demonstrierende Ha, das hinterhältige Haha, das schadenfreudige Hihi, das verwegene Hoho und das verkniffene Mmm hinter vorgehaltener Hand. Leidenschaftliche Typen hingegen lachen schallend und frei heraus, juchzen, johlen, gackern, wiehern und grunzen, bis ihnen die Luft wegbleibt und die Tränen kommen. Sie halten sich die Bäuche, klatschen sich auf die Schenkel, biegen sich vor Lachen. Die deutsche Sprache kennt zig Worte und Metaphern für solcherart Gefühlsausbrüche, die Antonia Baehr tatsächlich in eine Partitur des Lachens übersetzt hat.
Die Berliner Choreographin versteht sich dabei nicht als Musikerin, auch nicht als Performancekünstlerin oder Schauspielerin. Dass sie am Donnerstag in der auf das Tanzgenre fixierten fabrik auftrat, hatte durchaus seine Berechtigung, denn Lachen ist Körpersprache. Mit ihr eine Geschichte zu erzählen, kommt einer Choreographie sehr nahe. Dabei genügten Antonia Baehr wenige Hilfsmittel, die Dinge zu überhöhen. Besonderen Eindruck hinterließ eine bildschirmgroße, von der Decke herabhängende Lupe, hinter der sich nicht nur das Gesicht der Künstlerin verzerrte, sondern auch ihr Lachen, das allmählich in ekstatisches Schreien überging.
Ihr Vater, der Maler Ulrich Baehr, hatte ihr zum Geburtstag übrigens kein Notenblatt geschenkt, sondern eine wissenschaftliche Mammutaufgabe. Sie solle die Lacharten aller Mitglieder ihrer eigenen und zehn weiterer Familien aufnehmen, miteinander vergleichen und daraus schließlich eine Suite komponieren. Antonia Baehr gab am Mischpult stehend von dieser Arbeit schon mal eine kurze Hörprobe, erklärte dann aber unter gequältem Lächeln, dass der Schaffensprozess wohl noch etwas andauern werde. Sie lade schon heute herzlich zur Uraufführung des Stückes anlässlich ihres 70. Geburtstages ein. Damit nun hatte die Enddreißigerin die Lacher des Publikums ganz auf ihrer Seite.
Heute Abend zum Abschluss von „Lachen ... Tanz“ ist Martine Pisani aus Paris mit dem Stück „Hors Sujet ou le Bel Ici“ zu erleben. Beginn 20 Uhr, fabrik.
Antje Horn-Conrad
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