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Kultur: Sinfonische Stimmen

Konzert des Neuen Kammerorchesters Potsdam

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Konzert des Neuen Kammerorchesters Potsdam Natürlich besteht jüdische Musik nicht nur aus Klezmer; was aber macht sie zu jüdischer Musik? Eine Frage, die sehr verschiedene Antworten zulässt. Im Konzert des Neue Kammerorchesters Potsdam unter Leitung von Ud Joffe werden Werke von vier jüdischen Komponisten vorgestellt, die für ganz verschiedene Lebenswege in unterschiedlicher kultureller Umgebung stehen. Der 1922 in Breslau geborene und heute in Tel Aviv lebende Yehezkel Braun, dessen Familie schon 1924 in das heutige Israel auswanderte, kam früh mit der Musik des östlichen Mittelmeerraums und der traditionellen jüdischen Musik in Kontakt. Der vielseitige Komponist schuf Vokal-, Orchester- und Kammermusik. „Psalm für Streicher“ schrieb Braun 1959. Programmatisch hat das Stück allerdings nichts mit dem Buch der Psalmen zu tun. Auf Hebräisch hieß es ursprünglich „Mizmor“, was wörtlich übersetzt heißt: „Etwas gesungen oder gespielt“, aber auch „Psalm“. Im Hauptteil wird das Werk vom Charme eines alten Irischen Folksongs bestimmt. Ironischerweise haben Kritiker hier den typisch jüdischen Klang herausgehört. Der zweite Komponist des Abends, Aaron Copland, wurde als Sohn russisch-jüdischer Einwanderer 1900 in Brooklyn geboren. Ebenso wie Gershwin, Bernstein und Goodman entstammt er der (amerikanisch-)jüdischen Musiktradition. Die Werke des jungen Komponisten waren oftmals schroff modern. Doch Copland wollte das breite Publikum, nicht nur einen engen Kreis avantgardistischer Kollegen erreichen. So änderte er im Jahr 1936 seinen künstlerischen Stil gravierend. Die Kompositionen bekamen einen deutlich populäreren Charakter. Als in den späten Fünfzigern Zwölfton- und serielle Kompositionstechniken modern wurden, war Copland mit einem Mal „out“. Seiner Popularität tat dies indes keinen Abbruch. Er bekleidete zahlreiche Ämter, dirigierte und moderierte bis ins hohe Alter und wurde mit Ehrungen überschüttet. Wenige Wochen nach seinem Schüler Leonard Berstein starb Copland im Alter von 90 Jahren; seine Asche wurde auf den Wiesen des von ihm mit begründeten amerikanischen Musikmekkas Tanglewood verstreut. Zu den Werken der mittleren Periode gehört auch das Klarinettenkonzert, eines der bekanntesten der Musikliteratur, das Copland 1949 für Benny Goodman schrieb. Mit diesem als Solisten wurde das Konzert am 6. November 1950 in New York uraufgeführt. Am 11. November in der Erlöserkirche wird das Konzert von Hanno Pilz gespielt, einem jungen Berliner Klarinettisten, von dem noch Großes zu erwarten ist. Ein Wunderkind aus dem proletarischen Judentum der K&K Monarchie war der 1860 geborene Gustav Mahler. Als Dirigenten kam ihm ungeteilter Ruhm zu; als Komponist polarisierte er das Publikum in glühende Anhänger und wütende Gegner. Nach seinem Tod 1911 fristete er bald ein Dasein als Klassiker zweiter Garnitur – selbstverständlich waren seine Werke in Deutschland von 1933 bis 1945 verboten. Anfang der 1960er Jahre setzte jedoch eine regelrechte Mahler-Renaissance ein. Niemand hat die innere Logik des Schaffens Gustav Mahlers treffender beschrieben als Arnold Schönberg: „Eigentlich ist schon in der ersten Symphonie alles da, was ihn charakterisieren wird; hier schon klingt seine Lebensmelodie an, die er nur entwickelt, zur höchsten Entfaltung bringt. Die Hingabe an die Natur und die Todesgedanken“. Eine der Kompositionen, in der diese Lebensmelodie in reinster Form erklingt, ist das Adagietto aus der 5. Sinfonie. Der schweizerisch-amerikanische Komponist jüdischer Abstammung Ernest Bloch wurde in Genf geboren. Seit den 1920er Jahren besaß er die amerikanische Staatsbürgerschaft, lehrte dort an bekannten Konservatorien, pendelte gleichwohl zwischen Europa und den USA, wo er 1959 in Portland (Oregon) starb. Seine Hauptmission sah Bloch ohne Zweifel darin, eine natürlich-jüdische Musik durch Erfassen der jüdischen Kulturtraditionen und der geistigen Wesensart seines Volkes zu schaffen. Seine Werke sind oft von jüdischer liturgischer und Volksmusik inspiriert. Das 1924/25 komponierte Concerto Grosso Nr.1 für Streichorchester und obligates Klavier kann man als ein neoklassizistisches Werk ansehen, basiert es doch ganz auf der alten barocken Form. Eine besondere jüdische Atmosphäre schafft der langsame, zweite Satz: In seinem Mittelteil erscheint eine Melodie in Moll, die mit Dur-Figuren begleitet wird. Das vielfältige Spektrum sinfonischer Musik jüdischer Komponisten im Programm des Konzerts bietet eine gute Möglichkeit zur Reflexion des seit Richard Wagner im Raum stehenden Themas vom „Judentum in der Musik“.Christian Seidel

Christian Seidel

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