Kultur: Singen, bis der Laden voll ist!
Solo-Performer-Festival in der Comédie Soleil
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Solo-Performer-Festival in der Comédie Soleil Talent ist für den Song-Poeten Torsten Riemann vielleicht nicht das treffende Wort. Was er reimt und dichtet, komponiert und singt, scheint eher Mission zu sein, Einladung zum „Leben“, wie er es versteht. Lieber trete er vor leeren Stühlen denn vor leeren Köpfen auf, kündete er am Samstag vor knapp zwanzig Besuchern in der Comédie Soleil. Ein Spruch nur, denn seine Freitagsvorstellung fiel ja wegen zu geringen Besuches aus. Wer wiederkam, wurde satt entschädigt. Der Berliner scheint die unsichtbare Grenze vom „Liedermacher“ zum Chansonier längst überschritten zu haben. Wenn er seine Schöpfungen vorträgt, schaut er den Leuten in die Augen. Absolute Bühnensicherheit, kraftvolle Stimme vom ersten bis zum letzten Part, perfekte Beherrschung von Gitarre, E-Piano und Akkordeon zur Begleitung, dazu über mehr als zwei Stunden Substanz, welche sich, ganz irdisch, um Liebe, Tod und Leben drehte, kurz, Theaterchef Michael Klemm hatte für sein „Solo-Performer-Festival“ eine erstklassige Wahl getroffen. „Pusteblumenzeit“ hieß das durch und durch poetische Programm, gut für diese Frühlingstage, für die alte und die junge Liebe, für Spießerspott und Alltagstrott, für Träume – jede Menge Sehnsucht vom gelebten wie vom angeblich „ungelebten Leben“. Riemann scheint jemand zu sein, der einfach nicht satt wird. Nach altindischer Lehre würde man ihm den Status permanenter Leidenschaft zuordnen müssen, gleichweit vom Himmel und dessen Gegenteil entfernt. „Alles ist möglich, doch wo ist der Sinn?“ fragt er mit blitzenden Augen in die Runde. Eine durch und durch dynamische Person, so extensiv wie intensiv im Ausdruck, poetisch im Wort, melodisch in seiner Musik, begeistert vom Chanson und seinem Vorbild Jaques Brel, welchem er mit zwei Kontrafrakturen originell huldigte. Vielleicht auch ein Verführer, ein Aufwiegler der Schwachen und Gleichgültigen, der „vom Weltschmerz Infizierten“: „Aus Angst davor, zu weinen, hören wir auf zu lachen“. Er singt für jedermann und alle Lebenslagen: „Alles nur, weil ich dich liebe“ als Rock “n Roll am Piano, ein uraltes Scholarenlied zur Gitarre, von der Zigeunerin Liesbeth, die fünf Kinder großzog und jetzt an der Flasche hängt, böse und ungerecht auch, wenn er bei einem Klassentreffen die Etablierten unter seinen Kameraden so zeichnet: „Diese Glatten, diese Satten, die vermehren sich wie Ratten!“ Nicht fein, im Gegensatz zu lyrischen Aussagen wie „Alles ist vergänglich, alles ist gut, warte nicht auf Wunder – Mensch! das Wunder bist doch du!“ Letztlich ist und bleibt das Leben für Riemann „ne Sucht“, das heißt, er selbst sucht es noch immer, und findet sich, zwischen all den „in Eis gefrorenen Träumen“, eo ipso auch nur an der Endstation Sehnsucht wieder. Ein bisschen ging es schon hin und her mit seinen Botschaften im XXL-Programm. Mal nennt er die Welt öde, dann ist sie schön, mal preist er, damit seine Ewigkeit wahr werde, „die blinde, taumelnde Liebe“ als höchstes Lebensprinzip, dann kommen dem „Tänzer der Ewigkeit“ Texte voller Ernüchterung und Einsicht unter: „Ich lebe und ich singe, und bettle um Applaus“. Diese Songs drängen ins Ohr, treffen das Herz, die Haut, aber was ist mit der Seele? Leidenschaftlich warb Riemann auch für das Soleil, darin man mit Herzblut arbeite: Er drohte gar, wieder zukommen, zu „singen, bis der Laden voll ist!“ Dann war Schluss. Das Publikum hatte zugehört – der Poet fühlte sich „restlos unterteert“, und entschwand, um endlich eine zu rauchen. Gerold Paul
Gerold Paul
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