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Kultur: Singen voller Lebendigkeit und Leidenschaft

The Monteverdi Choir unter Gardiner mit Bach-Motetten im Nikolaisaal

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Sie a cappella zu singen, geht auf die Singebewegung des 19. Jahrhunderts zurück, die den Vortrag der Motetten von Johann Sebastian Bach in Reinheit, also ohne alle instrumentale Stütze, zum Ziel erklärt hatte. Doch Bach ließ seine sechs Motetten keineswegs rein vokal, sondern zur Begleitung eines üppigen Continuos singen.

An diese „Vorgabe“ hat sich Sir John Eliot Gardiner sicherlich erinnert, als er fünf von ihnen beim Auftritt des von ihm gegründeten und seither geleiteten Monteverdi Choir am Freitag im ausverkauften Nikolaisaal aufführt. Ob mit oder ohne instrumentale Assistenz – die Suche nach der einzig richtigen Darbietung scheint müßig. Und so hat jede Auseinandersetzung mit den Motetten, non plus ultra der Chormusik, ihre Berechtigung. Einzige Bedingung: Sie müssen künstlerisch überzeugend bewältigt sein. Dazu braucht es ebensoviel Virtuosität wie innere Begeisterung, exorbitante Sangeskultur wie gestalterische Intensität, um diese meist für gottesdienstliche Begräbnisfeiern bestimmten Gebrauchsmusiken in all ihren erbaulichen Betrachtungen über die Vergänglichkeit menschlichen Seins und Wunsches nach ewigem Leben ausdrücken zu können.

Ihr facettenreicher Vortrag folgt keiner Chronologie, sondern thematischen Verzahnungen, beginnend mit der archaisch wirkenden Vertonung „Lobet den Herrn, alle Heiden“ BWV 230. Freudig im Ausdruck, federnd im Rhythmus besticht die 27-köpfige Sängerschar mit ihren klaren und geschmeidigen Stimmen durch einen enormen Farbenreichtum, den zu erzeugen man bislang für kaum möglich hielt. Befremdet zunächst eine gewisse Schärfe der Sopranstimmen, ist sie bei den Worten „Denn seine Gnade“ plötzlich wie weggeblasen. Nun tönen sie weich und homogen, wie aus einem Guss. Es singt und klingt wie ein Stimmenmeer: an- und abschwellend gleich Ebbe und Flut. Frappierend, diese kontrastreiche Lautstärkedramaturgie, die auch den anderen Motetten eine enorme Spannung und hinreißende Lebendigkeit verleiht. Verstärkt wird sie durch das Continuo, besetzt mit großer Kleinorgel (James Johnston), Violoncello (Olaf Reimers), Kontrabass (Valerie Botwright) und Fagott (György Farkas). Auch bei der achtstimmigen Doppelchormotette „Fürchte dich nicht“ BWV 228 bürgen Eleganz und Durchschlagskraft, die Präzision der Tonerzeugung und des Zusammenklingens der Stimmen dafür, dass nicht die klitzekleinsten Trübungen oder geringsten Schwankungen das Hörerlebnis trüben. Jedes Wort ist überdeutlich zu verstehen. Faszinierend phrasieren sie die göttliche Botschaft „Ich stärke dich“, der filigranste Stimmungswechsel folgen. So entsteht ein kleines Drama voller Zweifel und Hoffnungen. Dass dabei die kunstvollen Verschlingungen des polyphonen Satzbaus deutlich erkennbar sind, versteht sich bei der Extraklasse des Chores von selbst. Prononcierte Deklamation, enorme Intensitätssteigerungen, differenzierte Stimmeinfärbungen als gestalterisches Mittel sowie die Absage an ein unterkühltes, sozusagen objektivierendes Singen bestimmen auch die Wiedergaben von „Komm, Jesu, komm“ BWV 229 und „Singet dem Herrn ein neues Lied“ BWV 225.

Gleich einer musikalischen Ökumene schieben sich drei introvertierte Sonaten aus den „Rosenkranzsonaten“ des katholischen Tonsetzers Heinrich Ignaz Franz Biber dazwischen, die von Kati Debretzeni (Violine), David Miller (Theorbe) und James Johnston schlicht und anrührend vorgetragen werden. Ein großer Abend, mit Standing Ovations gefeiert.

Peter Buske

Peter Buske

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