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Kultur: Singende Kleiderständer vor Orangerie Musikfestspiele:

Händels „Alessandro“

Stand:

Händels „Alessandro“ Hochmut kommt vor dem Fall. Auch bei Alexander dem Großen, der sich als Krieger und Liebhaber gründlich überschätzt: beim Sturm auf eine belagerte Stadt, bei der Selbsterhebung zum Göttersohn, beim Lavieren zwischen zwei Frauen. In seiner Oper „Alessandro“ blickt Alexanderfan Georg Friedrich Händel despektierlich und ironisch gebrochen auf den mazedonischen Helden. Wie das ausschweifende Werk heutigen Ohr- und Sehgewohnheiten gefällig machen? Indem man es total des politischen Konflikts beraubt, auf den Liebeskonflikt beschränkt und als Kammeroper in einer unpassend modernen Szenerie aufführt. Solcher Verfahrensweise huldigen Alan Curtis und Georges Delon (Inszenierung, Bühne und Kostüm) für ihre Präsentation des „Alessandro“, die an Banalität kaum zu überbieten ist. Gedacht für intime Architekturkulissen, inner- und außerhalb von Räumen, haben die Villa Musica und das Staatstheater Mainz mit den Musikfestspielen Potsdam das auf zwei Stunden eingedampfte Opus als eine misslaunige Studentenaufführung produziert. In Potsdam wurde sie zum „Sommertheater“-Auftakt witterungsbedingt nicht im Säulenhof der Orangerie von Sanssouci aufgeführt, sondern im rechten Seitenflügel. Origineller wurde das zusammengemixte Händelpüree dadurch aber auch nicht. Mit weißem Sessel und Zweisitzer nebst billiger Kopie eines Empiretischchens auf schwarzem Spielpodest haben die siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ihre wenig originellen Spuren hinterlassen. Man trägt saloppe Straßenkleidung, stöckelt oder latscht zwischen dem Mobiliar und im offenen Orangerie-Hintergrund umher. Das Spielvermögen der auftretenden Eleven geht dabei gegen Null. Einen glaubhaften Charakter kann keiner von ihnen darstellen. Stattdessen zeigen sie sich als singende Kleiderständer mit dem Charme eines Kühlschranks. In der Hosenrolle des Alexander bemüht sich Betsy Horne mit angenehm timbriertem und fülligem Mezzosopran um eine möglichst maskuline Verkörperung des Titelhelden. Doch in Smoking und mit betont lässigem Gebaren, das nur peinlich berührt, entsteht noch lange keine überzeugende Bühnenfigur. Über spielerische Ausstrahlung und stimmlichen Ausdruck verfügt die Sängerin noch nicht. Er/sie schnippst mit dem Finger – die Männer folgen blindlings. Wieso? Solche und andere Fragen darf man an die Aufführung nicht stellen. An die Darsteller allerdings auch nicht. Mit einer angesagten Erkältung müht sich Altus Bernhard Schafferer als Alexanders Liebeskonkurrent Tassile durch die Rolle, während Frank Häser als Alexander-Freund Clito reichlich robust und überlaut singt. Er versucht Alexander in die Schranken zu weisen – mit einer Pistole, die zuvor Lisaura alias Chen Wang unterm Sofakissen fand. Im schwarzen Hosenanzug stolziert sie als schmollende Mini-Primadonna mit kraftvollem, aber wenig differenzierendem Sopran durch die Szenerie. Der ebenfalls indisponiert angesagten Lea Pasquel (Rossana) merkt man das Handicap jedoch nicht an. In cremigem Hosenanzug buhlt sie um Alexanders Gunst, was ihr mit ausdrucksvollem Mezzosopran auch vorzüglich gelingt. Liebesbegehrlichkeiten, Siegesgewissheit und andere Gefühle spiegeln sich sowohl auf Stimmbändern als aus im Gesicht wider. Sehr erfreulich. Auf die Begleitung durch das „Ensemble Alessandro“, einer Nonettbesetzung mit Streichern, Fagott, Oboe, Blockflöte und Cembalo, kann sie sich wie die anderen verlassen. Unter Leitung von Taktschläger Giovanni Togni erklingt ein solider, kaum funkelnder und ungeschmeidiger Händel. Selbst in Rossanes koloraturengespickter, bravourös gemeisterter Liebesjubelarie „Brilla nell''alma“ bleiben die Instrumentalisten brav – wie die ganze Zeit vorher. Nachher gibt''s für alle Riesenbeifall. Peter Buske

Peter Buske

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