Kultur: Sinn und Sinnlichkeit
Ausgerechnet ein Hafiz. Einer, der den Koran Vers für Vers auswendig kennt und unter Muslimen hoch geachtet wird, weil er das Wort Gottes so verinnerlicht hat.
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Ausgerechnet ein Hafiz. Einer, der den Koran Vers für Vers auswendig kennt und unter Muslimen hoch geachtet wird, weil er das Wort Gottes so verinnerlicht hat. Ein solcher Hafiz schreibt Gedichte, prall voll Sinnlichkeit. Lobeshymnen auf die Liebe und den Wein. Lebensfrohe Gedichte aus dem 14. Jahrhundert, die so fremd in unseren Ohren klingen, weil wir, wenn das Wort Koran fällt, allzu schnell an radikale Islamisten, Alkoholverbot, verschleierte Frauen und grenzenlosen Hass denken. Doch Chadsche Schams ad-Din Mohammad Hafez-e Schirazi, kurz Hafis aus Shiraz, war ein Muslim voller Liebe, die er in seinen etwa 500 Gedichten bejubelt hat.
Die Potsdamer Gambistin Christiane Gerhardt fasziniert seit Jahren schon die persische Musik und die Lyrik des Hafis. Genauso fasziniert sie die französischen Kompositionen für Gambe aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Wie nah sich diese beiden scheinbar fremden Kulturen und Epochen doch sind, zeigte sie zusammen mit der Cembalistin Sabine Erdmann, dem Gambisten Tilman Muthesius und dem Schauspieler Timo Sturm am Donnerstagabend im ausverkauften Kammermusiksaal Havelschlösschen.
Mit „Vin et Viole“ (Wein und Gambe) war das Programm überschrieben. Timo Sturm, in der Rolle des Sprechers, schienen die Verse regelrecht aus der eigenen Seele springen zu wollen. Auf einen Gehstock gestützt, hielt er es kaum auf seinem Stuhl, gab er den Liebes- und Weintaumel des Hafis zwischen Jubel und Jammer mit einer Lebenslust, als würden ihn allein schon die Worte der Gedichte vor Glück trunken machen: „Sauft! Legt die Arme um die silbernen Hüften / Der Mädchen, die ihr liebt! Das nenn ich Leben! / Der Rest ist Unsinn. Glaubt dem alten Hafis!“.
Die drei Musiker griffen Sturms Begeisterung lustvoll auf, ließen sich mal mitreißen, mal mit Ruhe zur Einkehr gemahnen und wurden dabei mit jedem Stück immer mehr zu einer Einheit. Schnell war die noch im anfänglichen „Grand Ballet“ von Marin Marais leicht hörbare Anspannung vergessen, ließ man sich gern auf das gewagte Unterbrechen von Marais „Le Badinage“ durch einzelne Zeilen von Hafis ein. Wachsender Genuss bei den drei Musikern am gemeinsamen Zusammenspiel, noch mehr Genuss beim Publikum, daran teilhaben zu dürfen. Sabine Erdmanns Solospiel mit drei Stücken von Antoine Forqueray geriet zur furios gezäumten Ausschweifung, die „Les Folies dEspagne“ von Marais ein lustvoll, überschäumendes Zuspielen der Themen.
Am Ende noch zwei Zugaben, lang anhaltender Applaus, vereinzelter Jubel und die Gewissheit, dass man von diesem Quartett noch mehr solche Programme erleben will. Dirk Becker
Dirk Becker
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