Kultur: Sinnliche Meditation, urkomischer Slapstick, gescheiterter DA-DA
Der „Abend der kleinen Stücke“ bei den 14. Internationalen Potsdamer Tanztagen
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Der „Abend der kleinen Stücke“ bei den 14. Internationalen Potsdamer Tanztagen Ein hauchdünner Lichtstrahl fällt diagonal über die Bühne. Wie eine Grenzlinie. Und Amos Hetz überschreitet sie für jeden Part seiner ausdrucksstarken Performance neu. Romantische Klavierstücke inspirieren den großen alten Mann des Bewegungstheaters, den 70-jährigen Amos Hetz, zu immer neuen, sich harmonisch aneinanderreihenden, erblühenden Posen. Trotz ihrer im ersten Moment so erscheinenden Beiläufigkeit verdichten sich diese zu einer atemberaubenden Bühnenpräsenz. Aus den so konzentriert präsentierten, eher introvertierten Tanzfiguren zelebriert Amos Hetz ein Hohelied auf den menschlichen Körper. Er erspürt die Poesie der Gelenkigkeit, genießt die lyrische Geschmeidigkeit seines natürlichen Stützgerüstes bis an die von diesem Knochen-Muskel-Sehnenapparat gesetzten Grenzen, die er mit gelassener Demut akzeptiert, nie versucht, sie mit sich selbst herausforderndem Ehrgeiz zu überschreiten. Seine tänzerische Genügsamkeit hat nichts mit altersschwacher Gemächlichkeit, nichts mit greiser Selbstbeschränkung zu tun. Im Gegenteil. Aus Hetz“ Tanz erblüht der Zauber einer Weisheit, die Momente von berückender Jugendlichkeit entstehen lässt. Wohl niemand in der vollbesetzten Halle konnte sich dem entziehen. Amos Hetz gleitet in stoischer Gelassenheit auf den romantischen Tönen der Musik, legt sich in ihren Strom, um sich von den mal träumerischen, mal fordernden Melodien tragen zu lassen. Meditative Bewegungskunst erwartet keinen frenetischen Beifall. Aber der Applaus fiel anhaltend, wie ein warmer Regen, auf den israelischen Künstler. Dieser Dienstag sollte ein „Abend der kurzen Stücke“ sein. Beschlich einem schon bei Amos Hetz für Augenblicke das Gefühl, sein Stück sei für ein kurzes schon einen Point zu lang, so fielen bei Benno Voorhams Tanzstück „Ecce“ schon gewisse Längen ins Gewicht. Aber trotz allem, es blieb das große Vergnügen an dieser urkomischen, tänzerisch hochvirtuos inszenierten Persiflage auf den Ehrgeiz des Menschen, auf seine wundersame Macke, seiner selbst ausgesuchten Körpermaske, der eigens angeschafften Kleidung, gerecht zu werden. Und so steht der hagere Voorham, angetan mit einem leuchtend roten, an Ärmeln und Hosenbeinen weiß bestreiftem Trainingsanzug und einer raumgreifenden, gesichtsverschattenden Sonnenbrille, in Hab-Acht-Stellung und wartet auf das, was da komme möge. Und mit Macht bricht nacheinander Musik von Muddy Waters und James Brown auf ihn ein. Zuerst mit minimalen, ruckartigen Bewegungen versucht er seiner menschlichen Silhouette eine sportliche, mannhafte Note zu verleihen, die jedoch an der armseligen Kläglichkeit des Ausdrucks scheitert. Nun marschiert er eckig, steigert sich in einen staksigen Kniehebelauf, schreitet aus mit überlangen Schritten. Wer Benno Voorham aus Schweden über die Jahre beobachtet, weiß um sein untrügliches Gefühl, zwerchfellerschütternden Slapstick heraufzubeschwören, weiß um seine artistische Brillanz, die an die konzentrierte Virtuosität eines solchen Komödianten wie Charly Chaplin geschult ist. Und wie in den Filmen dieses Mimen, gelingt es Voorham wieder anrührend – nicht ohne Ironie – wunderbar sentimental zu werden. Wenn Kuscheltiere von der Decke schweben, der Tänzer staunend und gerührt durch das Spalier der Spielzeuge gleitet, dann stößt er damit Fenster auf in die nostalgisch-schwelgerische Fantasie eines jeden Menschen. Und wenn Voorham seine Kleidung abwirft und nackt sich sein Körper rot mit weißen Streifen präsentiert, das wäre eigentlich die beste Pointe des Stücks. Aber er kann auf den durchaus witzigen Part mit einem großen Kissen nicht verzichten. Begeisterter Applaus in der Halle. Trotzdem: Mehr Mut zur Kürze, Benno Voorham. Aber um vieles eindringlicher müsste Effi Rabsilber dieses Flehen entgegenschallen. Ein fast einstündiges Solostück „1000 Fragen“ kann beim besten Willen nicht mehr als kurzes Stück durchgehen. Das wäre zu verschmerzen, wenn die Inszenierung über weite Strecken unterhaltsam gewesen wäre. Aber sie erging sich in szenische Wiederholungen, die letztendlich Leerlauf produzierten. Am Anfang macht einen Effi Rabsilber als Reinkarnation einer DA-DA-Künstlerin mit dem Auftreten einer völlig durchgeknallten Pippi Langstrumpf neugierig. Wie sie Fragen aus dem politischen Diskurs klaubt und auf die Alltäglichkeit herunterbricht, um deren Hohlheit aufscheinen zu lassen, wie sie mit kleinen digitalen Aufnahmegeräten und Kinderinstrumenten skurrile Klangwelten produziert, um sie mit und gegen ihren Fragensalat zu stellen, ist wirklich sehenswert. Doch dann bleibt alles Wiederholung. Einige Zuschauer verlassen entnervt den Saal. Die Resonanz ist zwiespältig: Emphatischem Klatschen bis Applausverweigerung.Frank Jast
Frank Jast
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