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Kultur: Sitar, Gamelan, Cello und Flöte

„Unterirdisch Sello Lenné“ improvisiert

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Vielleicht lag es am Fernwehsinn der nicht ganz Alten, dass sich am Freitagabend um die dreißig Besucher im kleinen Souterrain vom Quendel drängten. Denn mit den Potsdamern Matyas Wolter und Tobias Thiele stellten sich zwei junge Experten asiatischer Musik dem Improvisationsdrang in der Reihe „Unterirdisch Sello Lenné“. Ersterer hat sich in die gute alte Sitar, das indische Saiteninstrument, verliebt. Bereits sieben Winter verbrachte Matyas Wolter im fernen Kalkutta bei seinem Lehrer. Bevor sein traditionsorientiertes Solo im Quendel begann, entledigte er sich der Schuhe. „Aus Achtung vor der Musik“, wie er verriet.

Die Sitar selbst kann vieles im Raga-Universum: Sie kann Melodie und Rhythmik gleichzeitig wiedergeben, ihre vielgestaltigen Borduntöne laden zum Träumen ein, ihre Harmonik lässt in manchem Hörer ein zehrendes oder sphärisches Fernweh aufkommen, indes sie manchen Spieler in eine Art „Raga-Rausch“ treibt. Ihre Resonanzsaiten sorgen dann für „indische“ Nachhaltigkeit. Diesem schönen Vortrag genügten wenige ostinate Sequenzen, die dann nach allen Regeln der Kunst variiert und ausgemalt wurden. Ihre mehrfache Rückkehr verlieh dieser Musik einen seltsam wellenartigen Charakter. Meist blieb der Rhythmus gemäßigt, die Spielart kommod. Wer aber glaubte, Matyas Wolter würde auch mal so richtig „modern“ spielen, wie im Sello wohl zu erwarten, der sah sich getäuscht. Sehr traditionell. Ein langer Vortrag mit langem Applaus.

Tobias Thiele kam bis nach Java, wo er das kleine und das große Einmaleins des Gamelanspiels lernt. Für „Unterirdisch Sello Lenné“ hatte er aber nur zwei Batterien Xylophone aus Indonesien mitgebracht. Wie sein Vorgänger entschied er sich für die phrygische Tonalität. Und für Traditionelles, wenn auch selbst komponiert. Schon nach den ersten Schlegeln war man von der Gemächlichkeit dieser Musik überrascht. Ein Ton folgte dem nächsten in aller Gelassenheit, satte Pausierungen dazwischen. Man dachte immer, da käme noch mehr, aber nein, dieses Spiel bewährte sein Kontinuum fast störrisch. Befragt meinte der Musiker, auf Java musiziere man halt so gemütlich, im Unterschied zu den flotteren Balinesen.

Nach der Pause dann der Versuch gemeinsamen Musikzierens mit den Gastgebern Frank Zimmermann (Cello) und Thomas Kumlehn (Flöte), zwei sehr erfahrene und aufeinander eingespielte Improvisationskünstler. Wie immer hub das Cello mit kräftigem Strich an, spielte einen Riff als Spiegelfigur, die Flöte fiel ein. Einzeltöne von der Sitar, knappe Kommentare vom Gamelan. So ging das eine ganze Weile, abwartend, lauernd. Frank Zimmermann versuchte, die Gäste auf ganz unterschiedliche Weise aus dem Haus ihrer Traditionen zu locken, mal aliquott oder rhythmisch, mal mit pfeifenden Tönen, mal konventionell oder völlig schräg. Die beiden „Asiaten“ trauten sich trotz aller Finessen nicht, vom Weg des Erlernten abzuweichen. Die Sitar versuchte es, dann fiel auch sie wieder in die Rolle eines Begleitinstrumentes zurück. Tobias Thiele schien sogar zu kapitulieren. Reine Erfahrungssache! Leider ging auch Thomas Kumlehn dieses Mal nie in die Offensive. So blieb dieses Exerzitium eher multi als kulti, bis das Cello den lange gesuchten Gleichklang zu Vieren doch noch erzwang, ganz zum Schluss erst, und nicht für sehr lange. Ach, wie die Königskinder im Märchen wollten sie zusammenkommen und blieben doch jeder für sich, die Tradition in der zweiten Reihe, Cello und Traversflöte immerzu vorn. Gerold Paul

Nächster Versuch am 12. Mai mit Trompete und Säge im Quendel, Sellostraße 15a, 21 Uhr

Gerold Paul

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