Kultur: Skandälchen
Eine Diskussion zur Literaturausstellung „Die Dritte Front“ im Kutschstall
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Eine Diskussion zur Literaturausstellung „Die Dritte Front“ im Kutschstall Wer ins Halbdunkel der obersten Ausstellungsetage des Kutschstalls hinauf gefunden und einen nachlässig kopierten „Orientierungsplan" über die wenigen dort platzierten Themenwände in die Hand gedrückt bekommen hat, der mag sich fragen, wieso allen Ernstes im Zusammenhang mit der hier präsentierten Ausstellung „Die Dritte Front – Literatur in Brandenburg 1930 – 1950“ von einer „Skandal-Schau" gesprochen wurde. Sicher nimmt der Besucher aus den langen Texten der Info-Tafeln manch interessantes Detail aus dem Leben der dort porträtierten Schriftsteller und Verleger mit nach Hause, sofern er seine Konzentration nicht durch das unablässige Volksempfängergedudel im Hintergrund eingebüßt hat. Aber das Fehlen einer Ordnung, bzw. Einordnung der vielen Informationsbruchstücke, hinterlässt in jedem der raren Besucher, der nicht deutsche Literaturwissenschaften und Geschichte zugleich studiert hat, den Eindruck einer fußlahmen und halbherzigen Angelegenheit. Ein Skandal ist dieser Mangel jedoch nicht. Der Sturm im Wasserglas, der vom ND und der Jungen Welt bereits zur ersten Präsentation im Frühjahr in Rheinsberg mühsam entfacht worden war, sollte am Dienstag nun helfen, das fehlende Publikumsinteresse zu fördern, indem auf einer Diskussion zwischen dem Schriftsteller Rolf Schneider, dem Kurator der „Dritten Front", Peter Walther, und dem jüngst durch die in Fachkreisen umstrittene Darstellung des alliierten Bombenkrieges gegen Deutschland („Der Brand") bekannt gewordenen Historikers Jörg Friedrich zum Thema „Karrieremuster in Deutschland vor und nach 1945“ sprachen. Die zwanzig Zuhörer durften dann erleben, wie sich unter rhetorischer Führung von Friedrich die Diskussion rasant von den Inhalten der Ausstellung entfernte. Das war zu verschmerzen, da die dort behandelten Protagonisten, wie Herbert Scurla, Marie Diers oder Anneliese Bretschneider nur sehr regionale Bedeutung besitzen. Sie dienen als Beispiele für viele, die in der DDR in irgendeiner Form an ihre NS-Karriere anknüpfen konnten und vom Staat „kalt exkulpiert“ wurden, wie Rolf Schneider die Funktion des „selektiven Antifaschismus" in Ostdeutschland beschrieb. Das Ziel von Friedrichs Ausführungen war erschreckend nebulös. So meinte er, der von der Perspektive „unserer Moral gesättigten Philantropie“ würde es nicht gelingen, die Radikalisierung der in die NS-Verbrechen „Verstrickten“ zu verstehen. Als Beispiel diente ihm ein KZ-Arzt, der zu seiner Verteidigung mit einem gängigen Entschuldigungsmuster entsprechend erklärte, das Schlimmste verhindert zu haben, indem er nicht die geforderten 80 Prozent der Patienten in den Tod schickte, sondern nur 50 Prozent. Fast schien es, dass Friedrich – mit seiner marxistisch-trotzkistischen Herkunft und als Verfasser der Dokumentation über die Wiedereingliederung von NS-Tätern in die BRD „Die kalte Amnestie" gegenüber vorschnellen Vorverurteilungen eigentlich erhaben – die Wiedereingliederung der Täter und Mitläufer der Nazizeit als gelungenes gesellschaftliches Projekt endlich beendet sehen wollte. Das für ihn zur „Staatsräson" gehörende „Entsetzen" über die Barbarei, das durch Schulbücher, Filme und Theater bis heute in Deutschland freigesetzt würde, wäre anderswo auf der Welt nicht zu finden. Er nannte die Verbrechen Belgiens im Kongo, die acht Millionen Tote während Maos Langem Marsch, und die Atombombe als Beispiele. Dieses „Entsetzen" wäre eine in der Welt einzigartige Wunde, die blute und offen gehalten würde. Rolf Schneider versuchte, Friedrich zu einer eindeutigen Aussage zu bewegen. „Wünschen sie denn eine Vernarbung?", fragte er. Friedrich entgegnete und bejahte wohl mit einer Gegenfrage: „Wie lange kann ein Staat zusammen halten, der auf einer Negativdefinition beruht?“ Und weiter: „Wenn das nur für die Deutschen gilt, dann finde ich das problematisch." Diese Position Friedrichs, die Forderung nach einem „globalen Maßstab" für das „Entsetzen“ staatlicher Massenverbrechen, findet sich schon in seiner Darstellung des Luftkrieges über Deutschland und hat ihm reichlich Kritik eingebracht. Zu Recht, denn er begibt sich damit sehr in die Nähe jener, die die Singularität des Dritten Reiches abstreiten. Auf dem Podium können weder die zurückhaltenden Versuche Schneiders („Das ganze christliche Abendland basiert auf einer Negativdefinition – dem Sündenfall") hier Friedrichs problematisches Geschichtsbild korrigieren, noch fühlt sich der Moderator Jörg Lau von der „Zeit" zum Eingreifen bemüßigt. Der Literaturwissenschaftler Peter Walther vom Literaturbüro schwieg ebenfalls. Keiner, der Friedrich Einhalt geboten hätte, mit dem Hinweis, dass Unrecht niemals in irgendeiner Form aufgerechnet werden kann, und dass ein „Entsetzen“ vor Damals vor zukünftiger individueller Schuld bewahren lehrt. Stimmt es also, wie Jörg Friedrich sagt, dass Moral uns nicht weiter hilft? Sie hilft vielleicht nicht weiter, aber sie kann verhindern. Solange über Moral – selbst Doppelmoral – gestritten wird, ist man in Deutschland immer noch auf dem richtigen Weg.
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