Kultur: Sklaven ihrer selbst
Unidram: Sclavi – The Song of an Emigrant aus Prag
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Unidram: Sclavi – The Song of an Emigrant aus Prag Es gibt sie noch, hier mitten unter uns, auf den Spargelfeldern, den Geschirrküchen von Nobelrestaurants und in billigen Großstadtbordellen, die „Sklaverei“. „Sclavi“ heißt das Stück der Avantgarde-Truppe aus Prag, das bei Unidram mit seiner Urgewalt die Zuschauer in der Russenhalle bannte. „Rattata-rattratt-ttaratt“ – das Geräusch ist ohrenbetäubend, es kommt von einer Art gekurbelter Dreschwalze. Ein riesiger Wagen, vielleicht ein Zug, rast aus dem Bühnendunkel auf die Ränge zu, wird er bremsen können? Der Atem stockt dem Betrachter vor Angst. Es ist eine übertragene Angst. Denn eine Tür des Wagens klappt auf und wirft eine Gruppe von Menschen auf die Bühne. Emigranten, hin- und hergerissen zwischen den Verlockungen der Fremde und dem Verlust der slawischen Heimat. Es ist bestimmt Zufall, dass die Begriffe „Sklave“ und „Slave“ auf den gleichen lateinischen Wortstamm zurückgehen. Die heutigen Billigarbeiter kommen aus dem Osten. Den singenden Tänzern von „Farm in the Cage“ unter der Regie von Viliam Docolomansky gelingt von Anfang an in einer körperlichen, unmittelbar ergreifenden und schier atemlosen Inszenierung eine Gefangennahme des Zuschauers. Das Theaterensemble hatte sich als Vorbereitung zu einer Expedition in die Ostslowakei begeben, um dort alte ruthenische Gesänge und Rituallieder zu studieren. Diese Lieder, oft zwei- bis dreihundert Jahre alt, in Harmonie und Rhythmus in die Neuzeit übersetzt, sind nun Teil dieser aufrüttelnden Performance. Eine sirenengleiche Magie geht von diesen hellen Obertonreihen aus, Sehnsucht, Heimatlosigkeit und Klage ist daraus zu hören. Das Ensemble singt und tanzt, begleitet von Akkordeon und Schlagwerk, als ob es ums Überleben gehe. Und genau darum geht es. Das Elend und Missverständnis des Heimkehrers aus dem gelobten Land – Amerika – wird in Bewegung bebildert, eine „Erzählung des Körpers“ wie der Regisseur im Studiogespräch nach der Aufführung beschreibt, „wie ein Gedicht, das eigentlich nicht zu beschreiben ist.“ Der Emigrant kehrt nur mit einer leeren Reisetasche zurück. Statt mit Wohlstandsattributen gefüllt, steht er selbst in ihr – wie verloren. Er erwartet in der Heimat, für alle erlittenen Entbehrungen mit Zuneigung und Liebe entschädigt zu werden. Doch er hat den Gleichklang mit seinen Landsleuten verloren. Zwei Tänzer gehen über die Bühne, der Emigrant am Boden, seine Füße versuchen Schritt zu halten, mit zu gehen. In einem anderen Bild wird eine Frau dazu bestimmt, mit dem Emigranten sein Hemd zu teilen. Zwei Arme in einem Hemdsärmel, das kann nicht gut gehen. Der, der Sklave war, ist in Wahrheit Sklave seiner selbst, kann aus seiner Haut nie mehr heraus. Aus der Hilflosigkeit des Wiederkehrenden wird Gewalt, er kann die Hand, mit der er verbunden ist, nur so wieder los werden. Das Ende ist der Tod. Der rote Bauwagen mit seinen Klappen, Türen und Öffnungen an allen Seiten, der ständig in Bewegung ist, dient als Symbol für die ewige Reise, aber auch für den Raum, in dem Geborgenheit möglich ist. In der wilden Akrobatik der sechs Tänzer dient er als großes Schlagwerk, als Resonanzraum, als Festung und Bastion, die es zurückzuerobern gilt. „Farm in the Cave“ geben den „modernen Skaven“, die aus Osteuropa bei uns im Westen Wohlstand suchen und oft Demütigung und Isolation erleben müssen, eine alarmierende Stimme zurück. Wer kümmert sich schon darum, wie es den in Arbeiterquartieren hausenden Landarbeitern geht? Die Stimme dieser Performance geht jedoch über die der Sprache hinaus. Die Tschechen erreichen durch die Einbeziehung des entrückend schönen Gesänge den Bezug auf die reichen kulturellen Schätze des Ostens und durch die getanzten Bilder ein universelles Medium, das über alle Grenzen hinweg verstanden wird. In Potsdam bei Unidram, wo der Vorstellung vor vollen Stuhlreihen Bewunderung und allgemeine Anerkennung zuteil wurde, aber auch in Korea. Die überzeugende Bildersprache von „Farm in the Cave“ funktionierte selbst vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus dem Korea-Krieg und der anschließenden Teilung. Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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