Kultur: Slapstick und Nostalgie
Chaplinade beim Filmlivekonzert im Nikolaisaal
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„Charlies unbedingte Freiheitsliebe findet ihren reinsten Ausdruck in dem tänzerischen Gestus, der ihn bis zu seinen späten Filmen kennzeichnet. Der Tanz erscheint als unmittelbarer Ausdruck der Freiheit, als Triumph des Unbeschwerten“, schrieb der Filmhistoriker Ulrich Gregor. Wie musikalisch, wie tänzerisch die Grundstrukturen der frühen Stummfilme von Charlie Chaplin tatsächlich sind, zeigt sich in der klangvollen Orchestrierung durch den Filmkomponisten Carl Davis. Die Aufführung von vier Kurzfilmen löste Lachsalven und Beifallsstürme bei den zahlreichen Zuschauern aller Altersstufen im Nikolaisaal aus. Mit diesem Filmlivekonzert setzte das Deutsche Filmorchester Babelsberg unter der Leitung von Helmut Imig einen Glanzpunkt im Potsdamer Kulturleben.
Die erst vor wenigen Jahren entstandenen Kompositionen begleiten den Humor und die Situationskomik der Slapstick-Grotesken kongenial, mehr noch, sie verdeutlichen das ästhetische Gerüst der frühen Kurzfilme von Chaplin.
Wie Musikstücke sind die drei Filme aus dem Jahr 1917 aufgebaut. In „Easy Street“ spielt Chaplin einen erfolgreichen Polizisten in einem wüsten Wohnviertel, als Sanatoriumsgast tritt er in „The Cure“ auf, während er in „The Adventure“ einen entlaufenen Sträfling mimt. Die Rollen wechseln, doch im Grunde bleibt er Charlie, der Tramp mit Melone, Stöckchen und den alten, viel zu großen Schuhen – damit ist das erste Thema vorgegeben.
Dem stehen zwei weitere Themen gegenüber, das Mädchen (Edna Purviance) und der Konkurrent und Widersacher (Eric Campbell). Aus dieser Konstellation ergeben sich stets gleiche Abläufe, bei denen Tempo, Rhythmus und Stimmung wechseln und bestimmte Grundmotive in verschiedenen Variationen wiederholt auftreten. Den konstanten Schlagabtausch zwischen David (C. Chaplin) und dem Riesen (E. Campbell) gewinnt natürlich Charlie. Um seinen Verfolgern zu entkommen, entwickelt der Tramp im Wasser und zu Lande schier unglaubliche Kräfte, einem sadistischen Masseur begegnet er im Kurbad mit frechen Tanzposen, als kleiner Polizist besiegt er selbst den größten Bösewicht.
So wurde der Tramp zum ersten internationalen Filmmythos. Was es heißt, einen Film zu drehen, zeigt der Kurzfilm „How to Make Movies“, der nach Aufzeichnungen und historischen Aufnahmen 1983 von Kevin Brownlow vollendet wurde. Er zeigt einen leicht ironischen Blick hinter die Kulissen eines Filmstudios, in dem Charlie als Big Boss den Ton angibt. Für die zwischen Slapstick und Nostalgie pendelnden Szenen findet Carl Davies treffliche, farbenprächtige Klangbilder.
So erklingen zu den drehenden Trommeln mit den trocknenden Filmstreifen schön altmodische Töne. Mit seinen Kompositionen zu den Filmen aus der Mutual-Produktion erweist sich Carl Davis als genialer Eklektiker ist der musikalischen Stile und Zitate voller Witz und Eleganz.
Das Deutsche Filmorchester Babelsberg spielte szenisch treffgenau, pointiert und mitreißend - mit dieser Musik verdoppelt sich der Spaß von Chaplins Kurzfilmen.
Babette Kaiserkern
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