zum Hauptinhalt

Von Richard Rabensaat: So alt und immer noch aktuell

Das Atelierhaus Sans Titre zeigt eine Ausstellung zum Thema „Die sieben Todsünden“

Stand:

In seinem Zorn ist der Rentner nicht zu bremsen. 66 Rotbuchen, Eschen, Eichen und Wildkirschen sägt er auf einer Höhe von vier Metern ab, 56 weitere Bäume kürzt er bis auf den Stumpf. Grund war der freie Blick aufs Meer, den er durch das Holz behindert sah, besagt die Zeitungsnotiz vom 2. November 2007.

Diese Zeitungsnotiz hat Jan Beumelburg zu einer Grafik verarbeitet, mit der er „den Zorn“ in der Ausstellung „Die Sieben Todsünden“ im Kunsthaus „sans titre“ illustriert. Dabei nimmt der Künstler die Sünden nicht ganz so ernst, wie sie im religiösen Sinn gemeint waren. Auf collagierten Blättern kommentiert er mit Zeichnungen und Postkarten gelegentlich ironisch den althergebrachten Kanon. Die Wollust findet sich bei ihm als „Woll-Lust“ in einer Reklame für Damenstrumpfhosen wieder, die nicht immer synthetisch hergestellt werden. Begriffen wie Gier, Neid und Eitelkeit bescheren der Finanzcrash und Banker wie Jerome Kerviel, die mal eben fünf Milliarden an der Börse verspielen, eine ungeahnte Renaissance auch als künstlerisches Thema.

Zwar geistern Hochmut, Geiz, Zorn und Völlerei als Todsünden durch die Medien, eigentlich aber sind es Laster. Erst die üble Handlung führt zur Sünde, dem Verstoß gegen die christlichen Gebote. Im vierten Jahrhundert nach Christus von dem Wüstenprediger Euagrios Pontikos erstmals formuliert und dann im 6. Jahrhundert von Papst Gregor I. neu kanonisiert, haben die Laster seitdem einige furiose Karriere in Kirche und Welt gemacht. Spätestens seit dem stilbildenden Thriller „Sieben“ kommt kaum eine Hollywoodproduktion über Serienkiller und andere Totschläger ohne theologische Grundierung aus.

Die Arbeiten von siebzehn Künstlern haben die Kuratorinnen Angelika Euchner, Ute Werner und Constanze Henning zum Thema „Todsünden“ zusammengetragen. Die Spannbreite reicht vom schön gemalten „Stillleben mit Aschenbecher“ von Peter Rohn als eher zurückhaltendem Kommentar zur Völlerei aus dem Jahre 1974 bis hin zum Lust geschwängerten „Sonnentau“ Arno Bojaks aus dem Jahre 2009. Bojaks souverän ins Bild gesetzte, ambivalente Frauenfigur kämpft sich durch einen wimmelnden, sumpfig brodelnden Urwald und tappt in allerlei lüstern schmatzende Venus-Fliegenfallen-Gewächse, wirkt dabei aber ganz vergnügt. Bei Axel Gundrum „macht sich Herr K. einen schönen Tag“. Der Protagonist des Bildes blickt dem Betrachter recht feist entgegen, während mehrere schwarze Figuren sich damit abmühen, ihm Wohlgefallen zu bereiten. Das recht eindeutige, in altmeisterlicher Manier gemalte Bild findet sein Pendant in Rainer Sperls Terrakottafigur „Eva spielt im Paradies mit Adam“, bei der Eva sich recht zielstrebig an Adam zu schaffen macht.

Hintergründiger kommt die „Choreografie für die Habgier“ von Thoas Töpfer daher. Zusammen geschobene Einkaufswagen schlängeln sich als Platzhalter sinnesbetäubender Kauflust durchs Foto. Die zahlreichen Fotoschichten, aus denen Anja Isabel Schnapka ihre „Studien zu den 7 Todsünden“ zusammensetzt, geben dem Digitalprint eine Vieldeutigkeit, die darauf hinzuweisen scheint, dass Laster und Verbrechen sich häufig einer eindeutigen Klassifizierung entziehen.

Das sah Fritz Lang in seinem Film Metropolis noch ganz anders. Die Filmfiguren, die Michael Lüder fotografiert hat, glänzen mit der für den Stummfilm notwendigen Eindeutigkeit. Das Atelierhaus zeigt die vielgestaltige Schau in Zusammenarbeit mit der a/e/Galerie. Das teilrenovierte Gebäude bietet einen schönen Rahmen für das formale Experiment der Kuratorinnen. Eine Heizung und eine sichere Perspektive für die Nutzung des Gebäudes fehlt allerdings noch. So lassen schon die äußeren Umstände der Ausstellung keinen Gedanken an Trägheit oder andere Laster aufkommen.

„Die sieben Todsünden“ bis 12. Dezember, donnerstags und freitags, 15-19 Uhr, samstags, 12-16 Uhr, im Kunsthaus „sans titre“, Französischen Straße 18

Richard Rabensaat

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })