Kultur: So schlimm war es noch nie
Michael Kleff im al globe über „präfaschistische“ Tendenz in USA
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Michael Kleff im al globe über „präfaschistische“ Tendenz in USA Im Vergleich zu den USA müssen Portugal oder Schweden wirklich freie Länder sein. Zwar hat die hochzivilisierte Welt seit dem 11. September 2001 überall die Gesetze verschärft und mehr Obacht auf die „terroristische Bedrohung“ gelegt, nirgends aber werden sie mit so scharfen Restriktionen, mit so viel Staatsgewalt und paranoider Hysterie durchgesetzt wie im „freiesten Land der Erde“. Alle Nase lang wechselt die Sicherheitsstufe von gelb auf orange, es gibt Verhaftungen auf Verdacht, FBI und CIA sind ermächtigt, die täglichen Ausleihlisten der Bibliotheken zu beschlagnahmen, man will ja wissen, was der freie Bürger liest. Zudem versetzen ständig erneuerte Terrorwarnungen die 200 Millionen Bürger in einen permanenten Zustand von Angst und Schrecken, und das seit über zwei Jahren – Alltag in den USA. Ob der Totalitarismus in Übersee ante portas sei, beschäftigte am Donnerstag eine kleine Schar Interessierter im Brandenburgischen Haus der Kulturen, dem al globe in Potsdam. Als Referent stand der zwischen New York und Deutschland pendelnde Journalist Michael Kleff zur Verfügung, anschließend gab die Liedermacherin und „linke Aktivistin“Judy Gorman (USA) mit schöner Stimmgewalt und zur Gitarre ein entsprechendes Konzert. Sie steht in der Tradition von Pete Seeger. Für Michael Kleff befinden sich die USA nicht nur in einem permanenten Kriegszustand, sondern via Orwell an der Schwelle zum Faschismus. Er selbst ist mit einer US-Bürgerin verheiratet und lebt, anders als deutsche Korrespondenten-Kollegen in den Staaten, „amerikanisch". Von seinem Sohn weiß er, wie es an den Schulen zugeht, seine erwachsene Tochter gibt ihm Berichte vom Campus. Er kennt Politik und Medien, den Alltag, gleichwohl man New York nicht für die USA halten dürfe, 50 Kilometer jenseits beginne ein „ganz anderer Planet". Was er berichtete, war zwar nicht neu, dafür entstammte es eigenem Erleben. Nicht erst heute entscheiden immer andere, wer ein „guter Amerikaner“ ist. Kleff erinnerte an repressive Gesetzgebung zwischen 1930 und 1950 zur Zurückdrängung „kommunistischer Umtriebe“ im Land. Unter Joseph McCarthy (50er Jahre) gab es eine Flut von Schauprozessen, die auch vor Staatsbeamten nicht haltmachten, alles was liberaler als „erlaubt" war, wurde mit Berufsverbot oder Gefängnis geahndet. Ronald Reagan etwa verriet so einige Schauspieler-Kollegen, Robert Kennedy gehörte zum Stab des US-Großinquisitors. Der „Patriot Act" in den 60ern erlaubte dann die Überwachungen „staatsgefährdender Elemente“ ohne gesetzliche Grundlage, Verdacht genügte. Alle linken Organisationen mussten sich zwangsregistrieren lassen, Mitglieder und Finanzen offenlegen, Gewerkschaften wurden zur Loyalität verdonnert, was man darunter eben verstand. Noch heute sind in Bibliotheken des Mittelwesteen weder Marc Twain noch Hemingway zu haben. Passgenau zum Ende des Kommunismus erstand mit dem „Terrorismus" ein neues Feindbild, ohne geht es wohl nicht. Angst wird verbreitet. Besonders Arme und fremdländisch Aussehende seien im heutigen New York von plötzlichen Verhaftungen bedroht. Die Plutokratie hält die Leute auf Trab, und das mit Methode. Michael Kleff glaubt, dass die Amis „bewusst verdummt“ würden, wobei den Medien, es gibt allein 100 Fernseh-Kanäle, als Pranger fungieren. Wer sich heute kritisch zur Regierungspolitik äußert, etwa zum Thema Irak, wird öffentlich geschaßt, Sänger bekommen keine Auftrittsmöglichkeiten mehr, Schauspieler keine Engagements. Madonna machte jüngst zwar den Mund auf, entschuldigte sich aber sehr schnell. „Andere Stimmen" werden mit Einreiseverbot (Grammy-Verleihung 04) belegt, oder ihnen wird der Pass entzogen. Man ist entweder Patriot oder Feind. Hurra-Patriotismus ist Trumpf. Judy Gorman wußte davon manches Lied zu singen - aus eigener Erfahrung. Michael Kleff ist auch unklar, wie es den 26 gutbezahlten Geheimdiensten nicht möglich gewesen sein soll, den Anschlag auf das WTC zu verhindern, oder verbindlich zu sagen, ob der Irak Massenvernichtungswaffen habe. Die immer wieder beschworene Terror-Angst lässt kritische Frager aus „patriotischen Gründen" schnell verstummen. Mit dem Abbau demokratischer Grundrechte stünden Freiheit und Demokratie in den Staaten zur Disposition: „So schlimm wie jetzt war es noch nie". Gründe für diese „präfaschistische" Tendenz lägen im Niedergang des US-Bildungswesens, im fatalen Zweiparteiensystem und in der Allmacht der Medien. „Bevor sich da nichts ändert, ändert sich nichts". Ein Lob nun dem alten Europa? Gerold Paul
Gerold Paul
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