Kultur: Solide und geradlinig
Finale des Internationalen Orgelsommers mit Slawomir Kaminski in der Erlöserkirche
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Finale des Internationalen Orgelsommers mit Slawomir Kaminski in der Erlöserkirche Zum Schluss den Tusch. Jenes Zusammenklingen von Tönen also, mit dem man besonderen Anlässen den Höhepunkt setzt. Die Italiener nennen es toccare, was nichts anderes als berühren und schlagen bedeutet. Einst bezeichnet man damit nichts anderes als das improvisierende Erproben eines Instruments, dann dient Wort zur Bezeichnung für eine Art, auf bestimmte Weise im Gottesdienst Gesänge zu intonieren. So entsteht die Form der Toccata, „ein Praeambulum, welches ein Organist, wenn er erstlich uff die Orgel oder Clacicymbalum greifft, ehe er ein Mutet oder Fuge anfengt, aus seinem Kopf vorher fantasirt“ wie es Michael Praetorius beschreibt. Sich aus der liturgischen Angängigkeit befreiend, wird die Toccata zum klangprächtigen, rhythmisch-motorischen, mehrteiligen, mit raschen Tempowechseln nicht sparenden Konzerstück. Mit seinen großflächig angelegten Toccaten gehört Girolamo Frescobaldi (1583-1643) zu diesen Emanzipatoren. Für seinen Streifzug durch die Toccata-Historie erwählt sich Organist Slawomir Kaminski die Toccata Quinta (aus Libro II), die er an den Beginn seines Konzerts im Rahmen des Internationalen Orgelsommers in der Erlöserkirche stellt. Sein Auftritt ist zugleich Finale des attraktiven Festivals, das sich seit 13 Jahren stets mit vielgestaltigen Programmen schmückt. Auch der 40-jährige Dozent für Orgel- und Basso-continuo-Spiel an der Musikakademie seiner Geburtsstadt Poznan greift solche Vorgaben auf. Was von Frescobaldi tonsatzdicht und streng angelegt ist, tönt ebenso. Spröde geben sich die Eckteile, in warmen und weichen Farben zeigt sich der lyrische Einschub. Den damaligen Zeitgenossen gilt die Sammlung „Apparatus musico-organisticus“ (1690) von Georg Muffat (1653-1704) als Vorgriff auf die mehrsätzige italienische Instrumentalsonate. Für die unterschiedliche Stilistik der sechs Teile der Toccata septima wählt Slawomir Kaminski reizvolle Register. Vom Anfang mit schnarrenden Trompeten geht eine ziemlich martialische Wirkung aus. Lieblich, dann gedeckt und verspielt klingt es voran, ehe der Tremulant gleichsam süddeutsche Innigkeit ausdrückt. Der Mix aus Sesquialtera und Oboe verleiht dem fünften Abschnitt durchdringende Schroffheit, während das prinzipalgesättigte Finale von norddeutscher Gradlinigkeit erzählt. Diesem kleingliedrigen Opus folgt Johann Sebastian Bachs wohl berühmtester Beitrag zur Gattung: Toccata und Fuge d-Moll BWV 565. Was oftmals in spielerischer Monumentalität ausufert, findet durch den polnischen Organisten ein durchweg hell getöntes, leichtes und leichtgewichtiges interpretatorisches Gegenstück. Sehr rasch, im gleichmäßigen Metrum und ausdrucksuniform spult sich die Fuge ab – wie das Aufstellen und Lösen einer mathematischen Gleichung. Monochrome grelle Klangfarben müssen Esprit und barockfunkelnden Glanz ersetzen. Die Gleichung geht so nicht auf. Toccatenartiger Wirkungen in tonalen Ballungsräumen versagt sich die Chaconne op. 14 von Mieczyslaw Surzynski (1866-1924) ebenfalls nicht, deren Variationen zuerst besinnlich und stockend, dann immer zielstrebiger voranschreiten. Und lauter werden, was der Organist genauso hörbar genießt wie in der Introduktion und Fuge aus dem „II. Konzert für Orgel“ von Felix Nowowieski (1877-1946). Was in der Tradition französischer Orgelsinfoniker steht, erklingt in rauschhafter und ausufernder Monumentalität. Da darf sich die Königin der Instrumente noch einmal von ihrer üppigen Seite zeigen. Doch nun ist''s genug. Woche für Woche hat sie huldvoll zur Audienz geladen, sich berühren und schlagen lassen. Jetzt geht die Monarchin in den wohlverdienten Jahresurlaub. Nicht ohne zuvor eine positive Bilanz ihres orgelsommerlichen Wirkens zu ziehen, die sie durch ihren Programmdirektor KMD Matthias Jacob verkünden lässt. Die zwölf Konzerte wurden im Schnitt von neunzig Hörern besucht. Was uns gering erscheinen mag, war für Organist Gerald Gillen (Dublin) eine erstaunliche Resonanz, zumal über die dreimonatige Distanz hinweg. Lag der erfreuliche Zuspruch am stets gleichen Ort (Erlöserkirche), an den man sich zu gewöhnen schien?!Neben den Standardwerken der Orgelliteratur, die in reizvollsten Interpretationen daher kamen, gab es eine Fülle von Preziosen aus den Schatztruhen nationaler Kulturen zu bewundern. Die Fülle an gedämpften Tönen, leuchtenden Klängen und funkelnden Farben und fantasiereichsten Registrierungen war erstaunlich. Übrigens: so viel Toccaten wie in diesem Jahr gab''s noch nie zu hören.Peter Buske
Peter Buske
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