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Kultur: Soloquartett

Beim Potsdamer Jazzfestival: Posaunist Konrad „Conny“ Bauer begeisterte in der Französischen Kirche

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Nein, eigentlich ist die Posaune kein klassisches Soloinstrument. Ihr kupferweicher Klang, der die Tiefen mehr schätzt als die Höhen, ist eher geeignet, einem klassischen Orchester im Sinne Richard Wagners von ganz unten zum Strahlen zu verhelfen. Sattes Fundament, nicht spitzer Gipfel. Und mit dem halben Meter langen Handzug lassen sich gut butterweiche Bindungen zwischen den Tönen schmieren, die dem Vortrag einen betulichen Schmelz auflegen. Die scharfen Brüche, die Klüfte in den Notierungen des Jazz sind jedoch nicht unbedingt das Zuhause der Posaune. Dachte man, bis Konrad „Conny“ Bauer im reformatorisch schlichten Rund der Französischen Kirche deutlich länger als die angekündigte Stunde seine Töne kreisen ließ. Solo, natürlich. Und irgendwie auch wieder nicht.

Der Titel „Altmeister“ wird gerne verliehen, wenn an musikalische Glanzpunkte in einer Karriere erinnert werden soll, die in tieferer Vergangenheit ruhen. Bauer, Jahrgang 1943, zunächst DDR- und bald auch Weltklasse, darf ihn mit Stolz tragen: Es dürfte schwer werden, jemanden in Europa aufzutreiben, der sich mit seiner überragenden Blas- und Atemtechnik messen ließe.

Ganz in Schwarz steht Bauer unter der ovalen Decke. Sein weißer Zopf könnte für Extravaganz stehen, oder für die innere Überlegenheit eines Zen-Meisters. Vor ihm sitzen nahezu einhundert Zuhörer auf Eichenstühlen mit steilen Rückenlehnen. Schinkel hat diesem Gotteshaus eine nüchterne Strenge verliehen. Nun liegt etwas Sakrales im Raum. Jeder Mucks ist zu hören. Zu beiden Seiten Bauers stehen iPod-weiße Boxen auf Ständern. Ein Mikrophon und ein Laptop, dessen Apfelsymbol technikbejahend leuchtet, verbindet ein Fußpanel mit allerlei Schaltern. Keine Angst, heißt es, alles würde live eingespielt.

Bauers erste Töne klingen merkwürdig schmutzig und rau. Wo ist der Glanz, der Schmelz? Er liegt in der Technik. Bauer spielt keine einzelnen Töne, sondern gleich ganze Akkorde. Mit einem Atemzug neben einen Grundton einen Überton zu legen, das grenzt an Magie.

Wann immer Bauer an das Mikro tritt, wird der Blick auf seine Füße gelenkt. Denn die schreitende kleine Melodie wird über die Fußleiste aufgenommen und in einer Endlosschleife durch die Boxen wieder gegeben. Ein sogenannter Loop entsteht, auf das Bauer seine Improvisationen setzen kann. Noch kunstvoller: Bauer bastelt sich aus mehreren Einspielern ein Quartett, ausschließlich bestehend aus ihm selbst.

Die große Ironie des Abends wird dem perplexen Publikum jedoch immer dann klar, wenn Bauer mit beispielloser Zirkularatmungstechnik brilliert. Hier fabriziert der Klangkünstler ohne technische Unterstützung seine eigenen Loops. Das Klangspektrum der Posaune wird damit beinahe ins Unendliche gedehnt. Minuten lang, ohne Abzusetzen. Ein zartes Schnaufen weist auf die Dauerluftversorgung Bauers, ein Grundrhythmus erklingt und mit wedelndem Zug entsteht eine zauberhaft schillernde Jazzkadenz. Wem jetzt der Blick zum ewigen Rund der Gewölbedecke fällt, erkennt hier einen perfekten Einklang. Jazz, der die Grenzen eines Instruments überwindet in einem Raum, dessen Zweck kein anderer ist.

Heute spielt beim Potsdamer Jazzfestival der Solo-Pianist Gonzales in der Schinkelhalle. Beginn ist 20 Uhr.

Matthias Hassenpflug

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