Kultur: Sommerschwul
Robert Stadlober und Regisseur Marco Kreuzpainter im Thalia
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Robert Stadlober und Regisseur Marco Kreuzpainter im Thalia „Du,“ sagt Robert Stadlober zu seinem Regisseur Marco Kreuzpainter, „du bist ja komplett schwul!“ Eigentlich ging es im Filmgespräch zum Kinostart der Coming-out-Komödie „Sommersturm“ über Probleme im Umgang mit Gleichgeschlechtlichem. Und plötzlich merkt Stadlober, dass ihm in seiner sympathischen Unbekümmertheit etwas herausgerutscht ist, das sein Freund beinahe als Beleidigung verstehen könnte. Ein kurzer Moment, ein winziger Augenblick nur, in dem die vielen Stadloberfans im Thalia-Kinosaal 1 der entstandenen Peinlichkeit durch betretenes Schweigen Raum geben, dann witzelt der androgyne 22-Jährige, der durch kinovorhangrotes Haar auffällt, aus der Steiermark: „Mann, ich red` mich hier ja um Kopf und Kragen!“ Und das Publikum überlacht damit ganz schnell den eigentlichen Grund, weshalb es völlig in Ordnung geht, in einer angeblich sexuell nach allen Seiten emanzipierten Gesellschaft einen massenkompatiblen Film über jugendliche Jungenliebe zu drehen. Schwulsein ist und bleibt schwieriger, auch vermeintlich Aufgeklärte stolpern schneller über Vorurteile und Stereotypen, als geglaubt wird. So wird die Freude des jungen Regisseurs (26) verständlich, mit Sommersturm im Mainstream angekommen zu sein: „Wir starten mit genauso vielen Kopien wie Good bye, Lenin!“ Für manche, sagt Kreuzpainter, könnte der Film sogar noch „mainstreamiger“ sein. Stadtlober spielt Tobi, der längst schon weiß, dass er seinen besten Freund Achim (Kostja Ullmann) liebt. Der steht aber auf Mädchen (Miriam Morgenstern). Dann ist da noch Anke, die dummerweise in Tobi verliebt ist. Als Setting hat man eine Talsperre im Bergischen Land ausgesucht. Am Ufer platzen die jungen Gefühlsknospen reihenweise auf, über dem Wasser erheben sich bildschön die Wildgänse und das Binsengras walkt seicht im Wind. Auf einem Steg tummeln sich athletische, noch unbehaarte Knaben, auf ihrer Haut perlen frische Wassertropfen, Jungenhände beginnen vor erster Lust zu vibrieren, sobald sie eine Flasche Sonnenmilch zu fassen kriegen. Trendige einfühlsame Musik und die Wetterlage stehen im Einklang und kommentieren das innere Aufgewühltsein der Figuren. Nach seinem ersten verhinderten Kussversuch gegenüber Achim springt Tobi in den See: die Kamera folgt seinem fallenden Körper, Lichtsterne blitzen in tausenden Luftbläschen. Das ist hübsch gemacht und unterstreicht die dramatische Stimmungslage – neu ist es nicht. Für Kreuzpainter ist klar, dass „Großes Unterhaltungskino großes politisches Potenzial“ besitzt. Dieses muss er unter einer Schicht aus tatsächlich immer noch funktionierenden Stanzen über humorlose sächsische Elitesportlerinnen, libertinäre Berliner Großstädter, die ihr Coming-out im Gegensatz zu den bayerischen Klemmschwulen längst hinter sich haben, und bajuwarische Trainer verstecken. Der erste homoerotische Sex Tobis“ auf dem Steg ist so eine Szene, die ein wenig verdeckt werden muss, um das große Publikum wirklich zu treffen. Begleitet von einem Stöhnen entlädt sich hier eine leidenschaftliche Spannung, der Zuschauer ist sehr nah dabei, ohne dass ihm eine würdelose voyeuristische Perspektive aufgenötigt wird. Ein weiterer Trumpf des Films sind seine jungen Schauspieler, allen voran das Phänomen Stadlober. Auf der Leinwand besitzt er dieselbe enorme Präsenz wie in der Wirklichkeit. Nach Sonnenallee, Crazy, Verschwende deine Jugend ist Sommersturm ein weiterer Film, den er alleine tragen kann. Sein wunderschön verwundeter Blick, seine bebenden Lippen – seine Organe scheinen eigenes Talent zu besitzen. Die schwule Community nimmt diesen pädagogisch korrekten Film fast jubelnd zur Kenntnis, sagt Robert Stadtlober, als er am Ende mit Vergnügen seinen jungen weiblichen Fans Autorgramme schreibt. Ein Zuschauer bedankte sich sogar bei Kreuzpainter, er hätte erst vor kurzem sein Coming-out gehabt, der Film hätte ihm sehr geholfen. „Du weißt gar nicht, wieviel mir das bedeutet!“, antwortet der Regisseur, der aus eigener Erfahrung spricht. „Wenn man sich sein Leben lang versteckt, findet man sich am Ende gar nicht mehr“, heißt es im Film. Sommersturm hilft gegen das Verstecken, jedem ab zwölf Jahren.Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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