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Fotonegative, gestapelt. Die Installation „Familie“ von Antje Scharfe.

© J. Bergmann

"Splitter" in der Produzentengalerie M: Sorgsam arrangiert

Die Produzentengalerie M zeigt „Splitter“ – Alltägliches in außergewöhnlicher Umgebung

Stand:

Aus diesem Schnittmuster wird nie und nimmer ein Kleid oder eine Hose. Auf dem großen Papier von Ilse Winckler kreuzen sich etliche Linien, wirbeln wild durcheinander, fahren übereinander, verknäulen sich. So entsteht ein kostbar anmutendes Gewirr, das hinter Glas gerahmt wie ein Relikt vergangener Zeit scheint. „Denkraum II“ ist der Titel der Papierarbeit von Ilse Winkler. Wer in den Denkraum hineingerät, wird sich zwangsläufig verlaufen, denn es gibt keinen gesicherten Pfad. Aber die brüchig anmutende Haptik hat eine ganz eigene Schönheit, die auch die anderen Teile der Ausstellung „Splitter“ in der Produzentengalerie des Brandenburgischen Vereins Bildender Künstlerinnen und Künstler (BVBK) prägt.

Aus den Einzelteilen ergibt sich ein vielstimmiges Ensemble, das zusammen klingt und eine Ausstellung intoniert, die Aufmerksamkeit durch die zarte Geste erheischt, mit der die einzelnen Werke gestaltet, arrangiert und zueinander in Beziehung gebracht worden sind. Alltägliche Gegenstände und Materialien zeigen eine fragmentierte Welt, in der die Einzelteile ihre Herkunft zwar erahnen lassen, aber doch nie wirklich ihre Bedeutung preisgeben.

„Ausgrabung“ hat Antje Scharfe ihre „Collage aus Resten“ genannt. In drei Glasvitrinen versammelt sie alte Taue und Kordeln, Reste von Tonvasen, rostige Schlüsseln, deren Bestimmung schon längst niemand mehr kennt, den abgerissenen Kopf einer Puppe, fleckige Tücher. Was wie ein zusammengewürfeltes Konglomerat wirken könnte, erhält durch das sorgfältige Arrangement und die kostbare anmutende Präsentation in der gläsernen Vitrine eine Aura. Es wirkt, als sei ein Schatz aus der Vergangenheit gehoben worden. Das Besondere der gezeigten Materialien ist jedoch ihr Eigenwert. Offensichtlich handelt es sich um Gegenstände, die lange genutzt wurden, die eine eigene Geschichte haben, die sich in den verbliebenen Bruchstücken kondensiert. Scharfe muss die Materialcollage daher nicht mit fremder Bedeutung aufladen, sondern kann sie für sich selber sprechen lassen.

Eine dreißigteilige Arbeit aus handgegossenem, bedrucktem Kahla-Porzellan zeigt Imke Freiberg. Auf dem Boden liegend wirken die Fliesen wie einer alten Bauernstube entnommen und nun zur Erinnerung an alte Gehöfte aus dem Brandenburger Land auf dem Boden arrangiert. An einer Stelle allerdings ziert ein ganz moderner Abfluss das Porzellan.

„Serum und Profanum“ ist der Titel der Fotoarbeit von Antje Scharfe. Auf einem zerknitterten Untergrund hat sie auf jeweils vier silbernen Rechtecken allerlei Gegenstände arrangiert, die wiederum archäologische Fundstücke zu sein scheinen: eine Christusfigur, der jedoch Arme und Beine fehlen, jüdische Schriftzeichen auf einem altem Papierfetzen, Spielzeugteile. An der nebenstehenden Bar von Antje Scharfe kann niemand einen Drink nehmen, denn sie besteht aus durchscheinenden Glasteilen, die von der Künstlerin auf einem Podest in Flaschenform zusammengefügt worden sind. Manche der Glasstücke bergen florale Elemente. Auf Stufen in einem Lichtschacht stehend, bilden sie ein schönes Stillleben, das ein wenig an alte Katakomben gemahnt.

Christiane Wartenberg zeigt den Zyklus „Fakten über Minen“ und bringt damit ein unerwartet gegenwärtiges und kritisches Element, dessen Ästhetik sich aber wunderbar zu den anderen künstlerischen Arbeiten fügt. Kaltnadelradierungen kombiniert Wartenberg mit Spargelfolie, die sie mit Acryl beschriftet. Der Besucher erfährt zum Beispiel, dass eine „Flächenverteidigungsmine wie die französische Mazac einen akustischen Sensor hat. Sie wird durch ein Motorengeräusch aktiviert, verschießt die Munition 150 Meter hoch und hängt an kleinem Fallschirm und sucht mit zweitem Sensor Zielfahrzeug“. Die Schriftcollagen von Wartenberg, die zunächst wiederum durch Haptik und Präsentation bestechen, bergen also ein erhebliches Potenzial an Gegenwartsrealismus. Denn Minen aller Art sind immer noch ein gern eingesetztes Gerät in den Klein- und Großkriegen der Welt.

In ihrer Einführungsrede erläutert die Vereinsvorsitzende Jutta Pelz, dass sich für die Ausstellungen jeweils wenigstens zwei Künstlerinnen zusammenfinden, um dann einen Vorschlag für das kommende Jahr zu machen. So entstehen gelegentlich auch Zweckgemeinschaften. Die gegenwärtige Ausstellung aber vermittelt einen schlüssigen, zusammenhängenden Eindruck. Wobei entgegen dem Ausstellungstitel nicht so sehr der Eindruck des Zersplitterns vorherrscht. Die Materialien werden „als Bruchstücke betrachtet, ohne ihr eigenes Potential ganz aufzugeben, zum Arbeits- und Spielmaterial“, formuliert Swantje Buchhorn in ihrer Beschreibung der Ausstellung.

Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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