Kultur: Soufflés und Sexbomben
Neues Kammerorchester Potsdam im Nikolaisaal
Stand:
Wie erfrischend Musik des 20. Jahrhunderts im Konzertsaal wirken kann, zeigte sich beim Sinfoniekonzert des Neuen Kammerorchesters Potsdam. Unter der Leitung von Ud Joffe swingte und glitzerte es im Nikolaisaal fast wie in einer Music Hall auf dem Broadway. Auf dem Programm standen ausschließlich Kompositionen von zwei Klassikern der Moderne, Maurice Ravel und Leonard Bernstein.
Nach einer melancholischen Einleitung mit Maurice Ravels neoklassizistisch parfümierter „Pavane pour une infante défunte“ stand das Konzert ganz im Zeichen von Jazz, Mambo und Cha-Cha. Und das klingt etwas anders als Menuett, Polka oder Walzer!
Federnde Jazzrhythmen und schneidige Bläserriffs finden sich bereits in Maurice Ravels Klavierkonzert G-Dur, das von der jungen Pianistin Esther Birringer gespielt wurde. Die beiden Ecksätze stecken voller rhythmischer Überraschungen. Allein vier Percussionisten, Harfe und Klavier rühren ein brodelndes Klang-Potpourri an, eine brillante Mixtur aus lockerer Motorik und baskisch anmutender Melodik. Eine längere, wie improvisiert wirkende Pianokadenz verstärkt den Eindruck gelöster Virtuosität. Der zweite Satz beginnt mit einem langen, schlichten Klaviervorspiel, das überirdische Ruhe, fast schon Seligkeit ausstrahlt. Erst zögerlich mischen sich glitzernde Tastengirlanden mit Flötentrillern und dem unendlich melancholischen Klang des Englisch Horns – sehr sensibel und behutsam lässt das Neue Kammerorchester delikate Klänge aufblühen, bis sie in einem einzigen Crescendo-Farbrausch verglühen.
Mit ihrem anmutigen, klaren und zurückhaltenden Spiel vollendet Esther Birringer die transparente, über weite Strecken federleichte Interpretation. Welch unterschiedliche Aspekte das Motto der diesjährigen Saison, „Aber die Liebe“ bergen kann, zeigt sich in diesem Konzert einmal mehr.
Während die Ravel-Werke wie luftige Soufflés, wie zärtliche Tête-à-Têtes klingen, so wirken Bernsteins Sinfonische Tänze wie Kalorien- oder auch veritable Sexbomben à la Marylin Monroe. Viel üppiger ist jetzt schon der um Percussionsinstrumente, Holz- und Blechbläser aufgestockte Orchesterapparat. Frech und furios ertönt „The Great Lover“, schauerlich die dunklen Klarinettenklänge zu Beginn von „Lonely Town“, extrem cool, hektisch und glitzernd der „Times Square“ bei Tag und bei Nacht. New York, die Weltmetropole des 20. Jahrhunderts, hat in Leonard Bernstein ihren kongenialen Komponisten gefunden. Wie kein anderer verstand er, das laut vibrierende Lebensgefühl der Mega-City musikalisch zu reflektieren.
Passenderweise ist das Orchester für die Suite aus der „West Side Story“ noch vollmundiger ausgestattet. Bei der Auseinandersetzung zwischen den Jets und Sharks – die alte Romeo-und-Julia-Liebesgeschichte zwischen Weißen und Latino-Einwanderen – geht die Post wirklich ab. Hipper Jazz, wilder Mambo, frivoler Cha-cha, süßeste Streichersoli verströmen unwiderstehlich moderne Zugkraft voller Tempo, Witz und Pathos. Das Neue Kammerorchester spielt bravourös.
Gemeinsam mit Dirigent Ud Joffe, der die Zügel fest in der Hand behält, ergeben sich faszinierende, frenetische und sehr attraktive Klangimpressionen aus der Neuen Welt. Nur bei solch, zugegebenermaßen ungewohnten, Tätigkeiten wie Fingerschnippen und lauten Mamborufen, hätten die Musiker noch etwas üben müssen. Großer Beifall im gut gefüllten Nikolaisaal für ein mitreißendes Konzert. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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