Kultur: Souverän und nahbar
Trotz widriger Umstände präsentierte die Kunstpreis-Gewinnerin Nora Bossong im KuZe gekonnt ihre Werke
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Sechs Zuhörer inklusive Presse. Lohnt es darüber zu berichten? Und ob. Müsste man die Lesung von Nora Bossong am Montag im Studentischen Kulturzentrum, kurz Kuze, selbst wiederum in Literatur verwandeln, würde vermutlich eine Art Treppenwitz dabei herauskommen. Frei nach der Berthold Brecht anverwandten Devise: Stell dir vor, diese Veranstaltung geht gerade völlig den Bach hinunter, aber alle machen weiter, als wäre nichts geschehen. Dass der Vortrag der Berliner Autorin letztlich nicht im rumorenden Lärmpegel unterging, der von näher rückenden Studenten verursacht wurde, die schlicht und ergreifend keinen Bock hatten, auf die Veranstaltung Rücksicht zu nehmen, war in erster Linie ganz ihr selbst zu verdanken.
Angetreten war die Gewinnerin des Kunstpreises Berlin in der Sparte Literatur 2011, um wahlweise aus ihrem letzten Roman „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ (2012) oder dem Gedichtband „Sommer vor den Mauern“ (2011) zu lesen. Diese zwei Bücher offeriert sie tiefenentspannt dem Publikum. „Wer Prosa möchte, hebt die Hand.“ Das gilt auch für die Gedichte. Am Ende erhält das bei Hanser erschienene romaneske Familienepos, so darf man es wohl nennen, den Vorrang, um dennoch die Tür für ein paar Zeilen aus „Sommer vor den Mauern“ offen zu lassen.
Wer einmal beispielsweise einen typischen, rotzigen Auftritt von Michel Houellebecq erleben durfte, bei dem man schon mal einschlafen oder zumindest Vorbehalte gegen Selbstbeweihräucherung und dem Genius geschuldete Distanz entwickeln kann, wird hier angenehm überrascht sein. Nora Bossongs Auftritt ist das ganze Gegenteil - souverän, uneitel, auskunftsfreudig und nahbar. Das mag nicht nur an der Geschlechterdifferenz liegen. Daran, dass männliche Autoren gegebenenfalls anders ticken als weibliche. Rauer und auf machtvolle Sichtbarmachung bedacht.
Und da gehört die 1982 in Bremen geborene Autorin sichtlich bereits einer Generation an, die gerade dieser Tage beansprucht, besser ausgebildet zu sein als vorherige Generationen. Die mehrere Sprachen beherrscht und über reichliche Auslandserfahrungen verfügt. Und die, großgeworden mit elektronischem Wissen, weiche und auf Entspannung zielende Strategien anwendet, um der Flut der Informationen und Varianten Herr zu werden. Wenn man Nora Bossong zuschaut, möchte man das sofort unterstreichen. Das schlägt sich auch in ihren Erzählungen und Gedichten nieder, die abseits formaler und reduktionistischer Versuche frei operieren, als es hätte es nie einen vermeintlichen Niedergang der Dichtung gegeben. Als wäre eine an amerikanischen Vorbildern orientierte Art des Erzählens, frei von deutscher Schwermut und Hyperernsthaftigkeit, die selbstverständlichste, die ihr einfiele.
In „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ entwirft Bossong das kühle wie präzise Porträt einer norddeutschen Familiendynastie namens Tietjen. Ein Textilunternehmen, dessen Frotteehandtücher einst zum Pariser Schick gehörten. Und das nun gegen den Abstieg kämpft. Vier Generationen werden abgeklopft. Die erste verdient das Vermögen, die zweite bewahrt es, die dritte bringt es durch. Und Luise Tietjen, 27 Jahre, soll das Unternehmen als junge weibliche Protagonistin in einer von Männern dominierten Welt beerben - was sie eigentlich gar nicht will. In diesem Panorama geht es vor allem um die auch kritikwürdige Fähigkeit, fern aller zivilen Katastrophen und Zusammenbrüche eine Firma durchzubringen, die selbstredend erfolgsorientiert ist. Und um die „Kopierfehler“ (Peter Sloterdijk) zwischen den Generationen. Soll heißen, alle machen etwas anderes. Als sei ein teuflischer Zwang am Wirken, der die Tradition zerstört. Der Lärm der Studenten ficht Nora Bossong nicht an. Ohne die leiseste Neigung zum Zorn schaut sie kurz hinter dem Mikrofon auf, als wollte sie unendliche Milde walten lassen. „Dann reden wir jetzt eben doppelt so laut“, bemerkt sie mit fast heiterer Gelassenheit und geht schlussendlich in die Ankündigung ihres neuen Romans über, der im Herbst erscheinen wird und die Liebe des italienischen Kommunismustheoretikers Antonio Gramsci behandelt. Von Nora Bossong wird man hören. Im Studierzentrum unterdessen wäre etwas mehr Professionalisierung durchaus wünschenswert. Ralph Findeisen
Ralph Findeisen
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