Kultur: Spannend
Orgelsommer mit Andreas Sieling in der Erlöserkirche
Stand:
Seit dieser Orgelsommersaison erläutern Organisten ihre Programmabsichten. Jedenfalls die meisten. Wie hilfreich und sinnerhellend sie sein können, bewies aufs Nachdrücklichste der Berliner Domorganist Andreas Sieling bei seinem Auftritt in der Erlöserkirche. „Dietrich Buxtehude und sein musikalisches Umfeld“ nannte er seine Zusammenstellung, die von Werken des diesjährig so ausgiebig Geehrten (300. Todestag) flankiert wurde und in dessen Zentrum eine „Hommage à Buxtehude“ des Tschechen Petr Eben (geb. 1929) stand, die 1987 im Auftrag der Stadt Lübeck entstand, an deren Kirche St. Marien der „Magier des Nordens“ 39 Jahre lang wirkte. Und den jungen Johann Sebastian Bach veranlasste, von Arnstadt nach Lübeck zu wandern, um ihn an der Orgel zu hören und bei ihm Stunden zu nehmen. Für diesen Fortbildungslehrgang überzog er seinen geplanten vierwöchigen Urlaub gewaltig.
Abgesehen von diesen Fakten wolle er aufzeigen, sagt Sieling vor seinem Konzert, welchen Einflüssen Buxtehude selber unterlag. Italienischen und niederländischen vor allem. Dazu gehören die Canzonentechnik eines Johann Jacob Froberger (1616-1667), von dem er ein Capriccio voll der heiteren und kapriziösen Einfälle in hellstimmigen Soloregistern spielt, oder der klanggewaltige Stil von Jan Pieterszoon Sweelinck (1562-1621), den Buxtehude über dessen Schüler wie Scheidt, Scheidemann und Praetorius kennen- und schätzen lernt. Von diesem legendären niederländischen „Organistenmacher“ lässt Sieling die formstrenge Vertonung des Psalm 23 „Mein Hüter und mein Hirt“ in prägnanten Diskantstimmen erklingen: straff artikuliert, durchdringend, ein wenig klangspröde.
Ähnlicher Spielweise erfreut sich die Darbietung des „Echo“-Stücks von Samuel Scheidt (1587-1654), pendelnd zwischen „doppelt laut und sanft“. Diesen Dualismus bringt der Domorganist vorzüglich zur Geltung. Dabei schwellen und tremulieren diverse Zungenstimmen nach Herzenslust. Was auch für die Auslegung der Bachschen Choralbearbeitung „Schmücke dich, o liebe Seele“ BWV 654 zutrifft. Sieling weiß dabei die Wirkung des Tremulanten so zu dosieren, dass kein Weichzeichnereffekt entsteht. Freundlich und weich ertönt die Choralbearbeitung „Vater unser im Himmelreich“ von Georg Böhm (1661-1733), huschend und filigran und wie hingetupft die g-Moll-Fuga von Johann Adam Reincken (1623-1722). Dabei findet der Domorganist für jeden Komponisten den ihm gemäßen Stil, begeistert von Anfang bis Ende mit lebendigem Spiel. Klar und unverschwommen artikuliert er, registriert fantasiereich und farbenfroh. Wo es geht, zieht er passende Soloregister und kostete deren klangliche Wirkungen genüsslich aus. Kurzum: bei ihm geht es abwechslungsreich und spannend zu.
Zuvörderst in Stücken von Buxtehude (1637-1707). Eingangs mit dem C-Dur-Praeludium, dessen Anfang er gleichsam kurz angebunden vorträgt. (Dieses Thema benutzte Petr Eben als Ausgangsmaterial für seinen reizvollen Mix aus barockem Background und modernem Spielmaterial!) Daraus entwickelt Sieling einen reich gegliederten Monolog: kraftvoll artikuliert, kontrastreich registriert, schnörkellos und dennoch sehr lebendig. Für Aufmerksamkeit ist bis zum Stückschluss mit seinem „Stilus fantasticus“ reichlich gesorgt. So endet auch die abschließend erklingende d-Moll-Toccata in leuchtender Pracht des vollen Orgelwerks: mit schnarrenden Stimmen, mündend in Glanz und Wonne. Dank Sielings verbalen Erläuterungen wissen wir nun: mit Worten hört man besser!
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: