Kultur: Spannend und seelenbewegend
„Vocalise“-Finale mit Georg Friedrich Händels „Messias“-Juwel in der Erlöserkirche
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„Vocalise“-Finale mit Georg Friedrich Händels „Messias“-Juwel in der Erlöserkirche Je mehr Stimmen, desto lauter klingt es. Auch schöner? Einst waren es sogar über 1000 Sänger, die den „Halleluja“-Chor aus Händels Oratorium „Der Messias“ anstimmten. Was gehörigen Effekt macht, muss jedoch nicht unbedingt auch den Intentionen seines Schöpfers entsprechen. Ein Weniger an Aufwand ist oft aussageintensiver, wie die englisch gesungene „Messias“-Aufführung des Neuen Kammerchors Potsdam, assistiert vom Neuen Kammerorchester Potsdam, unter Leitung Ud Joffes in der Erlöserkirche zum Abschluss der „Vocalise“-Woche überaus eindrucksvoll bewies. In seiner kammermusikalischen Lesart mied der Dirigent jegliches repräsentative oder bombastische Auftrumpfen. Fern jeglicher romantischer Überpuderung konzentrierte er sich auf eine dramatische Auslegung, die jedoch eine gedankliche Verinnerlichung, oftmals bis an die Grenze des Introvertierten reichend, nicht ausschloss. Lebendig im Duktus gehalten, gab es dennoch keinerlei Abstriche an einer hinreißenden musikalischen Prachtentfaltung. Kurzum: Joffe zelebrierte kein Poem, sondern ließ eine Novelle vortragen – in sängerfreundlichen Tempi, frischer und klarer Diktion, pointiert, kraftstimmig, verstehbar bis in die kleinsten Verästelungen hinein. Mit fast körperlich spürbarer Intensität teilten sich menschliches Leiden, Hoffen, das Warten auf den Erlöser mit. Bedacht auf klangreines, exaktes, schlankes und hell getöntes Musizieren, betätigten sich die Musiker des Neuen Kammerorchesters Potsdam als überzeugende Erfüllungsgehilfen dirigentischer Absichten. Ob empfindsame Sinfonia, sanft wiegende Pastoralmusik oder freudestrahlende Festlichkeit – stets wussten die hellwachen Musiker prägnant zu phrasieren, straff zu artikulieren, mit ganz wenig Vibrato seelenerbaulich zu überzeugen. Was sie mit spieltechnischer Akkuratesse, die sich an Erfordernissen historisierender Musizierweise orientierte (für das Continuo stand eine Truhenorgel zur Verfügung), klar und transparent auszuformen verstanden, fand seine Fortsetzung im gleichfalls bestechenden Vortrag des Neuen Kammerchors Potsdam. Sicher und sauber intonierend, fand ihr innerlich bewegtes und frisch angestimmtes Singen sofort den Weg in die Herzen der Zuhörer, „Denn die Herrlichkeit, Gottes des Herrn“ verlangte schlichtweg danach. Die Klangklasse der 29 Sängerinnen und Sänger, deren Stimmen prächtig miteinander harmonisieren, stand stets außer Frage. Sie verfügten über seelenschmeichelnde Innigkeit, heldische Durchschlagskraft, pointierte Fröhlichkeit, anklagende Direktheit, koloraturenbeweglichen Charme. Freudig bewegt verkündeten sie die Geburt des Kindes, jubilierten mit Inbrunst die „Wonderful“-Rufe und stimmten das „Halleluja“ ohne jegliches Brimborium mit geradezu überraschender Verhaltenheit an, die sich dann in den überwältigenden, glanzvoll-strahlenden Hymnus steigerte. Das Solistenquartett stand gleichfalls auf exquisitem Niveau. Gleich zu Beginn frappierte Markus Brutscher mit seinem kraftvollen und strahlenden Tenor, der das einleitende Accompagnement „Tröstet ihr mein Volk“ gleich einer fordernden Verheißung hinmeißelte. Ein begeisterter und begeisternder Sangesprophet, strotzend vor koloraturensicherem Schmelz und Seelenstärke. Davon teilte auch Kai-Uwe Fahnert (Bass) eine Menge aus. Klar und schlicht erzählte er ohne pastorales Seelenbibbern vom Volk, das da im Dunkeln wandelt. Höhe und Mittellage gehorchten ihm mühelos, wovon nicht nur die von hoher Trompete umstrahlte Arie „Sie schallt, die Posaun''“ kündete. Auch der affektgeladenen Arie „Warum denn rasen und toben die Heiden im Zorne“ blieb die jähe Wut und der Ingrimm nicht ausgespart, wenngleich in ungemein kultivierten Dimensionen angesiedelt. Dort fühlte sich auch Altus Gunther Schmid sehr wohl. Sein emotional bewegter und bewegender Vortrag kannte keinen puren Wohlklang, sondern nur eindringliche Verkündigungen von Glaube und Hoffnung. Erbaulich und klangschön der fließende Gesang des „Er weidet seine Herde“, ergreifend die Klage „Er war verschmähet“, deren Vortrag einen das Leiden Jesu fast körperlich erleben ließ. Mit metallisch umhauchter Lieblichkeit, der es leider ein wenig an Glanz und Geschmeidigkeit mangelte, sang Netta Or den Sopranpart. Im Bekenntnis „Ich weiß, das mein Erlöser lebet“ ging sie ihrem Hang zu objektivierendem Ausdruck nach. Einer Offenbarung glich der von Erhabenheit schier berstende Vortrag der abschließenden „Amen“-Fuge durch den Chor, die in ihrer packenden Gestaltung das künstlerische Credo der „Vocalise“-Woche gleichsam bündelte. So spannend, geradezu kurzweilig also kann Händels „Messias“ sein!!! Nach einer längeren Pause des Besinnens löst sich die innere Spannung des Publikums in stürmischem Jubel, dem das Dacapo des „Halleluja“ dankt. Peter Buske
Peter Buske
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