Kultur: Späte Anerkennung durch Humboldt-Universität Marcel Reich-Ranicki erhielt Ehrendoktorwürde
Drei dahingeschmierte Buchstaben versperrten dem späteren Literaturpapst eine akademische Laufbahn. Auf den Bogen, mit dem der damals 17-jährige Gymnasiast Marceli Reich im Frühjahr 1938 um Aufnahme an der philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin ersuchte, kritzelte ein Ministeriumsmitarbeiter „Jüd“.
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Drei dahingeschmierte Buchstaben versperrten dem späteren Literaturpapst eine akademische Laufbahn. Auf den Bogen, mit dem der damals 17-jährige Gymnasiast Marceli Reich im Frühjahr 1938 um Aufnahme an der philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin ersuchte, kritzelte ein Ministeriumsmitarbeiter „Jüd“. Dahinter kurz und knapp: „Abgelehnt“.
Fast 69 Jahre sind vergangen, bis die Berliner Humbold-Universität (HU) als Rechtsnachfolgerin der alten Uni Marcel Reich-Ranicki am Freitag die Ehrenpromotion für seine Verdienste als großer Kritiker und Förderer der deutschen Literatur verlieh. Beim Festakt im Audimax der Hochschule sagte der sichtlich erfreute 86-Jährige, er wolle sich für die Ehrung „einfach nur bedanken“. Er habe für sein Werk bislang viel Anerkennung erhalten. Seine insgesamt neunte Ehrendoktorwürde sei jedoch die schönste, da die Literatur und Musik der Weimarer Republik in Berlin ihn am stärksten geprägt hätten. In den Theatern der Stadt habe er Shakespeare, Goethe und Schiller sowie Lessing und Kleist kennen gelernt. Auch die Werke von Heinrich Heine, Bertolt Brecht und selbstverständlich Thomas Mann seien ihm während seiner Berliner Zeit näher gebracht worden.
Die Ablehnung seiner Aufnahme an der Hochschule wegen seiner jüdischen Herkunft, so Reich-Ranicki, sei angesichts der Tatsache, dass die Nazis Millionen Menschen ermordet hätten, „beinahe eine Lappalie“. Jede andere Hochschule in Deutschland hätte damals genauso gehandelt, und er hege weder Gram noch Groll. Dennoch habe der das Gebäude der Universität am Boulevard Unter den Linden bis zur Verleihung der Ehrendoktorwürde nicht wieder betreten.
Kulturstaatsminister Bernd Neumann sagte bei dem Festakt, die Verleihung der Ehrendoktorwürde sei ein großer Tag auch für die Kulturnation Deutschland und für alle Menschen deutscher Sprache. Kaum einer habe in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mehr für die deutsche Sprache und Literatur getan als Reich-Ranicki, dem die Deutschen so viel Leid zugefügt haben. Mit der Ehrung hätten sich nach nun nach 69 Jahren jene Pforten weit geöffnet, die ihm 1938 verschlossen wurden.
Der HU-Präsident Christoph Markschies sagte, die Auszeichnung könne keine Wiedergutmachung sein. Auch dürften die braunen und roten Jahre, nicht als „Betriebsunfall“ der Alma Mater verstanden werden. Die Universitäten als „Orte der Wahrheit“ hätten sich den deutschen Diktaturen umfassend angedient. Die historische Schuld könne nicht durch ein „paar Taler Wohlverhalten“ getilgt werden, betonte Markschies. Durch die Ehrendoktorwürde wolle die Hochschule vielmehr ein Zeichen der Verantwortung für die „schreckliche Zeit“ setzen. Mirko Hertrich
Mirko Hertrich
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