Kultur: Spiel mit dem Spiel
Unidram II: Objekttheater aus Weißrussland
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Unidram II: Objekttheater aus Weißrussland Zur Tradition von Unidram gehört, die herkömmlichen Sehgewohnheiten durch experimentelle Theaterproduktionen aus Osteuropa herauszufordern. Auch die Puppenspieler der New Stage Company aus Weißrussland haben für ihre Darstellung der bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts zurückgehenden Legende des Spaßvogels Till Eulenspiegels eine sehr eigenständige Form gefunden. Ein Theater nach der zivilisatorischen Apokalypse. Die Figuren aus Draht sind nur in Andeutungen der Umrisse gebogen, die vier Puppenspieler verleugnen ihre Präsenz nicht hinter Vorhängen. In Schwarz gekleidet führen sie ihre Charaktere kniend und hockend ganz offen auf der Bühne. Die Gruppe aus Minsk will gar keine Illusionen mehr erzeugen, hier sind die Figuren nur lose miteinander verbogenes Metall, das jederzeit in Flammen aufgehen kann. Nach dem Ende des Theaters wird so wieder gespielt werden, aus den Resten der Kulturen wird ein Spiel. Auch die Fabel vom frechen Eulenspiegel, der seine Haut in kriegerischen Auseinandersetzungen mit seiner Dreistigkeit retten will, ist so ein verschütteter kultureller Rest. Wortreich führen die Spieler ihre Drahtbügelgebilde durch eine Handlung, die der dem Weißrussisch nicht Mächtige leider nur rudimentär folgen kann. Ein Henker mit einer Axt droht dem Till, Frauen, durch rote Papiere markiert, tauchen auf. Dann Armeen, Ritter mit Lanzen und immer wieder Pyromanie. Die Zerstörungswut richtet sich gegen alles, Draht ist biegsam, und wehe, schon lodert er. Auf der Bühne Dreck, Staub und Asche. Dort ein Blech, ein löchriger Eimer, ein alter Tank und verbogene Rohre. Was wie zufällig aussieht und nutzlos, bauen die vier Puppenspieler unter tosendem Getrommel ständig zu neuen faszinierend wackligen Arrangements um. Und schließlich verbannen die Führer ihre Spielfiguren, das Spiel wird als Spiel demaskiert. Die Drahtbügelmännchen brennen, Till wird begraben. Und plötzlich ist wirklich Krieg auf der Bühne, die Vier sind Soldaten mit rostigen Backformen als Helm, die achtlos herumliegenden Rohre dienen als Maschinengewehr, aus Blech und Propellerblatt ein Kampfflugzeug. Jeder kämpft gegen jeden. Die Wirklichkeit hat nun das Narrenspiel abgelöst. Die Regisseurin Aleksandra Patsej inszeniert mit diesem Figurentheater die Postmoderne. Im Figuren-Spiel um Till Eulenspiegel wird Herrschaft hinterfragt und Intrige bloßgestellt. Doch die provisorischen Bügelfiguren zeigen, wie fragil und zerstörbar solche kulturellen Konstrukte sind. Keiner redet hier von Klassikern. In der Inszenierung wird gleichsam das Spiel schonungslos vernichtet und durch etwas Neues ersetzt, auf höherer Ebene. Aber was immer dann kommen mag, es wird immer nur eines bleiben – ein Spiel. Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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