Ein Symposium zum Musikunterricht: Spiel, Satz, Sieg für die Gambe
„Der vierte Finger ist ein Schwächling“, sagt Christiane Gerhardt beim Werkstattkonzert. Gemeint ist der kleinste Finger, dem es naturgemäß schwerer als seinen Geschwistern fällt, die Saiten der Gambe zu drücken.
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„Der vierte Finger ist ein Schwächling“, sagt Christiane Gerhardt beim Werkstattkonzert. Gemeint ist der kleinste Finger, dem es naturgemäß schwerer als seinen Geschwistern fällt, die Saiten der Gambe zu drücken. Ob, und wenn ja, wann man ihn benutzen soll, ist eine von vielen Fragen, die beim öffentlichem Gambenunterricht im Havelschlösschen auftauchten.
Zum ersten Mal widmete sich das alljährlich stattfindende Gambensymposium dem Thema Unterricht. Wie das gemeint ist, erklärt Christiane Gerhardt, deren Schüler alle Altersgruppen zwischen 10 und 90 Jahren umfassen, so: „Wir verstehen Unterricht nicht im Sinne von ,ich zeige dir was und entweder du raffst es oder nicht’, sondern wir machen etwas gemeinsam.“ Wie vielfältig das ausfallen kann, zeigt sich bei den Vorführungen.
Es beginnt mit der Haltung von Instrument und Bogen. Man sitzt auf der vorderen Stuhlkante, mit angewinkelten Knien und leicht einwärts gedrehten Füßen, sodass die Gambe wie in einem Trichter auf den Waden ruhen kann. Dann kommt der Bogen dran, der von unten gehalten wird. Bei den allermeisten Streichinstrumenten auf der ganzen Welt sei das üblich, sagt Christiane Gerhardt, nur halt nicht bei Geige, Bratsche und Cello. Doch diese drei prägen den modernen Orchesterklang weltweit, während die Gambe im 19. Jahrhundert aussortiert wurde. Nur vereinzelt hatte und hat sie noch Auftritte, etwa in der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach.
Um mit der leicht bauchigen Kniegeige zu beginnen, muss man nicht so jung sein wie die zehnjährige Ella, die auf einer kleinen Gambe einen Satz aus einer Telemann-Sonate vorspielt – das geht in jedem Alter. Auch und gerade weil die richtige Koordination der Arme bei der Erzeugung von Melodien einige Übung erfordert, wie Christiane Gerhardt beim lockeren Spiel mit den Zuhörern demonstriert. Feinheiten von Technik und Interpretation kommen bei Henner und Tilman zur Sprache, beide von Hause aus Gambenbauer. Sie spielen nach einmaligem Üben einen Satz des Niederländers Johannes Schenck.
Mit der Frage „Habt ihr das Gefühl gehabt Adagio zu spielen?“ beginnt Johanna Carter aus Wien ihre kleine Lehrstunde. Von der Entscheidung, ob nun ein f oder fis zu spielen sei, gelangt man schnell zu individuellen Geschmacksvorstellungen. Eine besonders betont gespielte Phrase klingt dem einen poetisch, einem anderen aber scheint sie in der Wiederholung zu zerfallen. Bis in den Gambenhimmel der Renaissance führt eine Fantasie von Orlando Gibbons, führender Komponist des englischen Consort-Spiels.
Dass die Schüler Michael, Christiane und Tilman auswendig spielen, lobt die Lehrerin Waltraud Gunz aus Berlin besonders, denn dadurch sei der Kontakt zwischen den Musikern viel intensiver. Die sehen es locker: „Wir arbeiten ständig daran, dem Publikum eine Art Tennisballerlebnis zu geben.“ Der Ball ist das durch alle Stimmen hindurchgeführte Motiv, das schließlich in dramatisch abstürzenden Tonleitern zerfällt. Als letzter großer Solist und Komponist der Gambe hat Carl Friedrich Abel noch auf den kleinen Wolfgang Amadeus Mozart Eindruck gemacht. Wie lebendig das Spiel von zwei Gamben klingen kann, zeigt sich bei Abels beschwingtem Duetto mit Leonore von Zadow und Christine Vogel. Obwohl ursprünglich für die seiner Zeit konkurrierenden Instrumente Gambe und Cello geschrieben, entscheidet ihr beschwingter Vortrag das Endspiel des illustren Musikabends im Havelschlösschen klar zugunsten der Gambe. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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