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Kultur: Spielball des Weltgeschehens

Herbert Feuerstein zum Auftakt der Kabarettwoche im Obelisk

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Herbert Feuerstein zum Auftakt der Kabarettwoche im Obelisk Von Matthias Hassenpflug Wohl kaum einer in der Medien- und Fernsehwelt wird so grundsätzlich und so kategorisch unterschätzt wie Herbert Feuerstein, der kleine Mann mit der großen Woody Allen-Brille, der als vermeintlicher Stichwortgeber von Harald Schmidt in „Schmidteinander“ einer größeren Fernsehöffentlichkeit bekannt wurde. Wie soll man jemanden ernst nehmen, der sich selbst die Rolle des Opfers von Späßen und Hänseleien gewählt zu haben scheint? Der sich als Hypochonder, dauerdepressiver Nörgler und „bekennender Feigling“ und Aquaphobiker zu erkennen gibt? Feuerstein weiß aus leidvoller Erfahrung, dass es schwer ist, zu jemandem aufzuschauen, der sich nur 1,65 Meter vom Boden erhebt. Was an Körpermaß relativ klein erscheint, wie es zur Eröffnung der traditionellen Kabarettwoche auf der Bühne des Obelisk steht, wirkt ungemein mächtig, bedenkt man, dass Ironie selten in so einer Reinheit und nie in so einer subtilen Selbstverleugnung zu bewundern ist. Feuerstein ist reinstes Understatement. „Ich gehöre nicht ins Fernsehen“, stellt der, den die allermeisten von der Mattscheibe kennen und die wenigsten als subtilen Reiseschriftsteller, sich selbst vor, „und deswegen bitte ich sie, wenn sie mich je da gesehen haben, um Entschuldigung.“ Ursprünglich, so Feuerstein mit frechem Ernst, sei er, wie Mozart ein Kind Salzburgs, ja „vom Schreiben“ gekommen. In seiner „schrägen Multimedia-Reise-Lese-Show“ stellt Feuerstein, der 20 Jahre lang das bis an die Grenze der Debilität witzelnde Humorblatt „Mad“ herausgegeben hat, seine drei Bücher mit Reisereportagen vor. Hintergrundberichte zu seiner Fernsehreihe „Feuersteins Reisen“, die „über den Rahmen des Bildschirms“ hinausgehen. Und weil Feuerstein weiß, dass diese Berichte aus den entlegendsten Regionen der Welt zum Feinsten, Lehrreichsten und Unterhaltsamsten der Fernsehlandschaft gehören, zeigt der Grimme-Preisträger auf einer Leinwand immer wieder Ausschnitte daraus. Das fast ausverkaufte „Obelisk“ biegt sich vor Lachen, wie Feuerstein auf einem Eisberg des kanadischen Columbia-Gletschers frierend, verloren und unsicher in die Kamera blickt. Oder wie er beim Goldwaschen in Alaska einige Splitter Gold in der Schüssel findet und wie ein Kind herumspringt: „Gold! Gold! Ich bin reich!“, aber mit einer unbedachten Handbewegung beim Jubeln den Teller sofort wieder auskippt. Doch das Hintersinnige an Feuerstein ist nicht so leicht auszumachen wie diese Art von Schadenfreude, zu der er vordergründig einlädt. Seine Erzählungen vom spanischen Stierkampf, der Menschenfresserinsel in Vanuatu oder der Flussfahrt in Myamar gründen auf einer äußerst gebildeten, reflektierenden Neugierde. Wie fühlt sich der Stier in der Arena, kurz bevor der Matador zustößt? Denn nur der und nicht der Torero hat das Recht den Todesstoß auszuführen. Feuerstein sieht im Tod des stolzen Tieres, dass ihm jedenfalls die Würde gelassen ist, in Wut zu sterben. „Millionen von Hähnchen würden alles dafür geben, erhobenen Hauptes in einer Arena zu sterben, anstatt von rotierenden Messern zu Tausenden abgeschlachtet zu werden.“ Feuerstein benennt seine Schwächen bis zur Lächerlichkeit, und stellt sich und seine Ängste mutig gegen die Erhabenheit und Urkräfte der Schöpfung. Er weiß, „die Welt ist voller Wunder.“ Besonders sichtbar wird das, wenn ein kleiner, schwächlicher Körper an einem Traumstrand von den Händen einer gewaltigen thailändischen Masseuse durchgewalkt wird. Oder wenn er vor Angst schlotternd ganz dicht am Rande des Glut speienden Vulkankraters steht. Im „Obelisken“ funktionierte dieses Feuersteinsche Prinzip, sich bewusst zum Spielball des Weltgeschehens zu machen, um Erkenntnis zu gewinnen, auch ganz unerwartet bei einem Live-Interview für die RBB-Nachrichten. Da polterte plötzlich Christine Meister von „Brandenburg Aktuell“ auf die Bühne. „Das ist jetzt keine Razzia von Otto Schily“, kommentierte Feuerstein. Die Reporterin fand „schon ganz nett“, was sie gerade gesehen hätte, hielt den eben noch lang erklärten Gletscher für einen Berg, wollte ernsthaft wissen, was Feuerstein mit seinem Programm beim Publikum erreichen wolle, und fragte tatsächlich, was seine Botschaft wäre. Feuerstein behielt die Nerven auf diese wohl blödesten Fragen in der Geschichte des Fernsehens. „Von mir aus keine“, erwiderte er philosophisch und gab damit den Blick völlig frei auf eine sündhaft teure, völlig überflüssige Aktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Auch so ein Wunder, für das Herbert Feuerstein empfänglich ist. Das Publikum, von ihm als „hellwach, ja geradezu vorauseilend“ gelobt, war ganz auf seiner Seite. Heute Abend um 19.30 Uhr sind die Blödelbarden der Gruppe MTS aus Berlin zu Gast bei der Kabarettwoche.

Matthias Hassenpflug

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