Kultur: Spielregeln
Die Autorin Juli Zeh bekam vom Literaturladen Wist den „Kleinen Hei“ verliehen
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Die Autorin Juli Zeh bekam vom Literaturladen Wist den „Kleinen Hei“ verliehen Von Lene Zade „ Lesen war ein Zustand, in dem die Zeit verstrich..., während Adas Verstand in Nahrung eingelegt wurde, so dass seine hektische Gier in ein gleichmäßiges Einsaugen und Verwerten überging.“ Kaum ein Lesesüchtiger, der dieser Definition nicht zustimmen würde. Carsten Wist, hat aus seiner Passion eine sendungsbewusste Berufung gemacht. Am Freitag vergab der Potsdamer Buchhändler zum zweiten Mal den „Kleinen Hei“, eine Auszeichnung für sein Lieblingsbuch des Jahres. 2004 begeisterte den Buchhändler vor allem die Autorin Juli Zeh, die mit „Spieltrieb“ ihr drittes Buch vorlegte. Ada, die Hauptfigur, liest seit ihrem vierten Lebensjahr. Mit 14 ist sie nicht nur ihren Alterskameraden sondern auch ihren Lehrern intellektuell überlegen. Nur hat Ada nicht vor, aus ihrem Verstand einen Wunderkindstatus zu ziehen, die Zustimmung zu einer nihilistischen Weltsicht hält sie davon ab. Stattdessen betrachtet sie die Welt als Versuchsanordnung und sich selbst darin als eine Spielfigur, die das Erlebte schon im Moment des Erlebens emotionslos analysiert. Am beängstigendsten wirkt die totale Abgeklärtheit dieser Jugendlichen, die nichts im Leben zu überraschen scheint. In Alev findet sie einen Ebenbürtigen, doch stärker noch als sie ist er bestrebt, die Geschehnisse nach seinen Regeln zu inszenieren. Erprobt werden Verführung und Erpressung, Spielball ist ein Lehrer. Nach der Eskalation obliegt es einer Richterin, gemäß den (Spiel-)Regeln des Gesetzbuchs über die Konsequenzen des jugendlichen Spieltriebs urteilen. Juli Zeh stellte in ihrer einstündigen Lesung die drei Hauptprotagonisten vor. Den Handlungsrahmen skizzierte sie in beinah lapidaren Worten, als sei auch das Schreiben eines Buches vor allem eins: eine Versuchsanordnung. Sie habe sich nicht dafür interessiert, das Medienthema Gewalt unter Jugendlichen zu kommentieren. Viel mehr gehe es ihr um psychologische Zustände. Der Handlungsort Schule bot die Möglichkeit über sehr junge Protagonisten zu schreiben, die in einer Zeit des Zusammenbruchs ideologischer Denksysteme aufwachsen. Juli Zeh sieht ihr Buch in der Traditionslinie von Adoleszenzliteratur, wie sie von Jahrhundertwenden hervorgebracht werden. Von dem „beängstigend guten Buch“, wie es Wist betonte, bot die Lesung einen Eindruck. Das anschließende Gespräch zwischen dem Preisverleiher und der Gepriesenen stellte die Autorin vor, deren Lebenslauf ungewöhnlich und doch für das Verständnis ihrer Schreibhaltung aufschlussreich ist. Denn zunächst ist Juli Zeh, in Bonn aufgewachsen, Juristin, spezialisiert auf Völkerrecht und zur Zeit Promovendin. Ihr Examen, machte sie, wie Wist mit respektvollem Staunen konstatierte, mit den Bestnotenabschluss in Leipzig, wo sie zusätzlich am Literaturinstitut etwas über das Handwerkszeug des Schreibens lernte. Entgegen der Haltung, Dichtungen seien Ergießungen eines Genies, schätze Juli Zeh die Einstellung: Schreiben ist lernbar. Das Literaturinstitut habe der jungen Autorin gezeigt, dass Schreiben ein kommunikativer Prozess sein kann. Die Seminare kamen einen Intensivlektorat gleich. Sie waren so angeordnet, dass sich die Studierenden sowohl in der Rolle des Kritikers wie der Kritisierten versuchen konnten.
Lene Zade
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