
© Manfred Thomas
Kultur: Spiel’s nochmal, Paul
Wenn selbst der Schlager swingt: Paul Kuhn zu Gast im Thalia Filmtheater
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So viele Konzerte schon erlebt, mit so vielen namhaften Musikern. Herausragende Konzerte darunter, mit herausragenden Solisten, an die man gern zurückdenkt. Und bei so vielen dieser Konzerte dieses besondere Phänomen der Begeisterung erlebt, wenn es das Publikum nicht mehr auf seinen Sitzen hält. Standing Ovation.
Doch selbst war man immer sitzen geblieben. Konnte die Begeisterung, den Dank und den Respekt, der sich hier ausdrückte, zwar sehr gut nachvollziehen, war aber dafür nicht bereit. Vielleicht, weil doch noch etwas fehlte. Vielleicht aber auch, weil sich für den Kritiker Zurückhaltung ziemt. Und dann kommt da am Montagabend ein 83-Jähriger auf die Bühne im Thalia Filmtheater, setzt sich an das Klavier und spielt Geht-ja-gar-nicht-Lieder wie „Der Mann am Klavier“ und „Es gibt kein Bier auf Hawaii“. Dann sogar „Ich hab noch einen Koffer in Berlin“. Und als sich der 83-Jährige mühsam von seinem Klavierhocker erhebt, Applaus aufkommt und sich die ersten erheben, da steht man wie selbstverständlich mit auf. Aber nicht, weil es hier alle tun, sondern um sich bei diesem Mann zu bedanken, der da vorn so gebrechlich-zerbrechlich steht und mit seiner Schirmmütze winkt: Paul Kuhn.
Eine knappe halbe Stunde hat Paul Kuhn zusammen mit dem Bassisten Charles Todd gespielt. Neben besagten Gassenhauern auch zwei Eigenkompositionen, die er für den Film „Schenk mir dein Herz“ geschrieben hat, der im Anschluss an dieses kleine und so nachhaltige Konzert gezeigt wurde und in dem Paul Kuhn in der Rolle des Pianisten Heinrich Mutesius zu erleben ist. Und ganz zum Schluss, als Zugabe, dann noch eine bekannte Filmmelodie, wie er es ankündigte: „As time goes by“ aus „Casablanca“.
In „Schenk mir dein Herz“ trägt Paul Kuhn zwar diesen anderen Namen und tritt als ehemaliger Barpianist auf, der in einer Hamburger Rehaklinik die kaum noch zu erkennenden Nachwirkungen einer Handverletzung auskuriert. Aber wenn man Paul Kuhn kennt und ihn bei seinem Auftritt auf der Thaliabühne erlebt hat, braucht es nicht viel um zu erkennen, dass Paul Kuhn hier vor allem Paul Kuhn spielt. Und damit sorgt er für diese stillschönen und so berührenden Momente in dem modernen Märchen, das „Schenk mir dein Herz“ so offensichtlich ist.
Der alte Barpianist trifft hier auf den Schlagerstar Alexander, der nach einem Herzinfarkt an massiven Gedächtnisverlusten leidet. Doch bei all den Erinnerungslücken, es ist die Musik, in Person von Paul Kuhn, die den stillverzweifelten Alexander, gespielt von Peter Lohmeyer, wieder zurückholt. Auf die Sprünge helfen, wie Paul Kuhn im PNN-Interview am vergangenen Samstag sagte. Und wenn Paul Kuhn alias Heinrich Mutesius im Zimmer der Musiktherapie sitzt und Klavier spielt, dann entstehen selbst auf der Leinwand diese zauberhaften und so zerbrechlichen Momente, wie sie nur in der Musik möglich sind. Diese Momente, wo alles so weit und groß, so leicht und frei und so selbstverständlich wird. Momente absoluter Zufriedenheit. Vielleicht lag es aber auch daran, dass man kurz zuvor Paul Kuhn live erlebt hatte. Und dass einem dabei selbst „Der Mann am Klavier“ und „Es gibt kein Bier auf Hawaii“ gefallen haben.
Kuhn sang diese Schlager, die ihn in den 50er Jahren bekannt gemacht hatten, nicht mit dieser Mir-ist-sowieso-alles-egal-Stimme, sondern mit einem feinhumorigen Ton, den man Alterslässigkeit nennen möchte. Und am Klavier kleidete er diese Schlager in ein leichtes Jazzgewand, in das der Swing wie ein leichter Wind fährt. Kuhn, dem man auf dem Weg zur Bühne die Gebrechen des Alters deutlich ansah und anmerkte, wirkte am Klavier dagegen jung und frisch und kraftvoll. Sein Anschlag mit lässigem Nachdruck, dabei jedem einzelnen Ton genügend Raum gebend. Kuhn ist ein Genießer am Klavier, für den weniger immer mehr ist. Und mit seiner leichtmelancholischen Mischung aus Swing und Blues hat er eine Spielart gefunden, eine Stimme, die man schon nach kurzem Hören als die typische Paul-Kuhn-Stimme erkennt. Sein langjähriger Begleiter Charles Todd am Kontrabass dabei mehr als nur eine weitere und dezente Stimme im Hintergrund. Aufmerksam und gefühlvoll nahm er auf, was Kuhn ihm vorgab, ein sparsames, so nachvollziehbares und genussvolles Improvisieren jenseits aller Eskapaden. Hier zählt jeder Ton in diesem Spiel zweier alter Männer zwischen Willkommen und Abschied, das viel, viel zu kurz währte. Und dann steht man dankbar da und klatscht und klatscht und klatscht.
Dirk Becker
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