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Kultur: Spirituelle Deutung zwischen Wasser und Feuer

Ohne Musik keine Religion: Mittelalterlicher Klostergesang in der Friedenskirche

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Dem Blick über die Schulter des segnenden Jesus im Atrium der Friedenskirche hinüber in den Marlygarten bot sich am Freitag ein wunderbares Schauspiel: die Natur in friedvoller Ruhe. Nach dem heftigen Gewitter dampfte die Feuchtigkeit über sattem Grün in die immer noch schwüle Abendluft empor. Die Sonne schien in den Kreuzgang, und leise nur zwitscherten Vögel. Ein Gefühl von klösterlicher Abgeschiedenheit. Welch sanfte Einstimmung auf einen Konzertabend, der mit dem Thema „Die Symbolik von Wasser und Feuer in der christlichen Liturgie“ ein anspruchsvolles geistliches Wandelkonzert versprach: Vokalmusik des Mittelalters und der Renaissance, interpretiert von der Lehniner Choralschola und dem italienischen Choralensemble Cantus Anthimi unter der Leitung von Livio Picotti und Andreas Behrendt.

Wasser als Lebenselixier, Symbol ewigen Lebens, als Quelle von Erleuchtung, Hineinnahme in die Liebe Gottes – aber auch als Sintflut, die alles Leben vernichtet. Feuer als Symbol des Heiligen Geistes, als reinigende Flamme, „als mächtiger Weg“, der die Menschen zur Einsicht führt. Aber auch als verzehrendes Feuer, Feuer der Sünde. Diese Symbolkraft in der Faszination des mittelalterlichen Klostergesangs und der Kompositionen eines Pierre de La Rue oder Mateo Flecha erlebbar zu machen, zeugt von großer Ambition, tiefer geistiger Durchdringung und Mut, sich nicht zuletzt vom mediengepushten Gregorianik-Hype abzugrenzen.

Das Wandelkonzert lud nicht die Zuhörer zum Wandeln ein. Vielmehr wechselten die Chorsänger ihre Positionen im Raum, was das klangliche Raumerlebnis wunderbar gestaltete. Die geschulte Artikulation, der angenehme Unisonoklang der Stimmen, der schöne Einklang auch im Dialog zwischen Männer- und Frauenstimmen ließ die Kraft dieser archaischen Klänge spürbar werden.

Picotti und Behrendt sind geschätzt als ausgewiesene Kenner dieses speziellen Repertoires. Ihre Interpretationen wurden in feinfühliger Weise durch die Orgelimprovisationen von Peter-Michael Seifried ergänzt, die bar jeder Effekthascherei ein faszinierendes, fast tiefgeistiges Klangspektrum auffächerten.

Höhepunkte des Programms waren zweifellos das „O ignis spiritus paracliti“ der Hildegard von Bingen, in dem die Frauen im Altarraum und die Männer unter der Orgelempore stehend die Zuhörer geradezu in den Raum-Klang einbetteten. Oder das „Catholicorum contio“, in welchem der geradlinig geführte, melismenreiche Gesang Ulrike Wurdaks im empfindsamen Zwiegesang mit den einstimmigen Frauen korrespondierte.

Das abschließende „El Fuego“ von Mateo Flecha ist ein Werk von erstaunlicher Klangvarianz, geradezu bildmalerisch effektvoll. Doch geriet es in der Interpretation weniger frei und ließ etwas die artikulatorische Klarheit missen.

Die Vermittlung des hochkomplexen Programmmottos, und hier lag die Schwierigkeit des Abends, zumal mit Werken ausschließlich lateinischer und spanischer Texte, versuchte man durch Einfügung von Lesungen zu unterstützen, was leider nicht wirklich gelang. Stephan Buchheim als Sprecher trat zu introvertiert auf und war akustisch nur schwer zu verstehen. Der Bezug zwischen Gelesenem und Musik konnte sich oftmals erst, wenn überhaupt im Nachhinein herstellen.

So blieb nur, das Klangerlebnis zu genießen und sich der kraftvollen spirituellen Atmosphäre hinzugeben – durchaus im Sinne von „Sine musica nulla religio“ oder auch: „Ohne Musik keine Religion.“ Gewünscht hätte man sich, den Kirchenraum still versonnen verlassen zu können, doch die Applaus provozierende Zugabe machte bewusst, dass man sich (doch nur) in einem Wandel-Konzert befunden hatte. Christina Siegfried

Christina Siegfried

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