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Kultur: Spleenige Wertebesinnung

Doris Knecht fand mit ihrem schwachen Roman und Geschlechterklischees Beifall im „Viktoriagarten“

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Die Buchhandlung „Viktoriagarten“ ist ein schöner Ort. Irgendwie hell. Gut geeignet für Lesungen. In den Regalen wartet etwa „Warum erwachsen werden? Eine philosophische Ermutigung“ der Potsdamer Philosophin Susan Neiman. Gleichsam einer langsamen Kamerafahrt eröffnet sich hier ein Tauchgang in die Erzählung der späten Zivilisation über sich selbst. Hinein in den Klebstoff, der sie zusammenhält. Theorien und Storys, die das zivilisatorische Dickicht in eine luzide Gemeinschaft verwandeln und immer neue Lockstoffe aussenden, damit man weiterhin lustvoll daran teilnimmt. Oder entflieht. Manchmal auch unfreiwillig. So wie Marian, die Heldin in Doris Knechts neuen Roman „Wald“.

Doris Knecht ist Österreicherin, sie schreibt als Kolumnistin für die Zeitschriften „Kurier“ und „Falter“ und ist bereits mit ihrem ersten Roman „Gruber geht“ (2011) für den Deutschen Buchpreis nominiert worden. Die Verfilmung unter der Regie von Marie Kreutzer kommt noch 2015 in die Kinos. Viel Vorschusslorbeeren also für eine Autorin, mit der die „Viktoria“-Buchhändlerinnen Stefanie Müller und Andrea Schneider am Montagabend ihr diesjähriges Leseprogramm eröffnet haben. Jetzt erst, wie sie betonen, im April, nicht weil sie die letzten Monate faul gewesen seien, sondern um mit einem Knaller zu beginnen. Mit einer Autorin, als deren Fans sie sich verstehen.

Deren Roman „Wald“ erzählt die Geschichte einer Verliererin, die vermeintlich alles richtig gemacht hat. Marian, von Freundinnen gelegentlich Nanny genannt, was sie enorm stört, weil es altmodisch und verkorkst klingt, ist Modeschöpferin in einer nicht näher bezeichneten Stadt und glaubt an die Unfehlbarkeit ihres Schicksals. Sie erfüllt die trendigen Standards und gehorcht den zeitgemäßen Phantasmen der Neugierde, Kreativität und Wissensbildung. Doch dann passiert es trotzdem – der Absturz. Vielleicht auch aus Unachtsamkeit, aus Verwirrung über eine undurchsichtige Liebe. Wie auch immer, Doris Knecht behandelt den prototypischen Schrecken der Gegenwart: den Fall der Mittelschicht. Der Bankrott zwingt Marian, aufs Land zu ziehen, wo sie in einem zufällig geerbten Haus und in nahezu völliger Autarkie versucht, wieder zu sich zu finden. Und überhaupt, zu überleben.

Angesichts der anschließenden Fragen aus dem Publikum, das, leichthin im fortgeschrittenen Alter, mehr über die Beweggründe wissen wollte, verwies die Autorin nicht ohne Humor auf ihr Wiener Umfeld. Viele Freunde und Bekannte haben sich auf dem Land ein Haus gekauft und pflanzen Gemüse an. Auch sie selbst kennt die exemplarische Versuchsanordnung mit der Bio-Tomate. Alle buddeln im paradiesischen Land herum. Doch leben kann davon niemand. An eine Idealisierung des Bäuerlichen à la Jean Jacques Rousseau war also bei der Entstehung des Buches nicht gedacht. Das lag Doris Knecht fern. Und so schien es auch das Publikum zu verstehen. Denn, ganz im Gegenteil, die Landbevölkerung erweist sich im Verlauf der Geschichte als die andere Hölle. In erster Linie der gewichtige Franz, der Marian wegen eines gewilderten Rehs eine runterhaut, um später Intimitäten von ihr einzufordern.

Honorig in den Absichten, offenbart der Roman dennoch einige herbe Schwächen. Soundtechnisch zwischen Tatort und Regionalkrimi schwingt sich die Erzählung kaum einmal in die Metaebene auf und verbleibt in minutiöser Beschreibung am Gegenstand. Mitunter quasi-pornografisch und – nicht außergewöhnlich für österreichische Autoren – spleenig, so, wenn es um zerquetschte Mäuse geht, die Marian mit ihrer metropolengesteuerten Neurosenüberempfindlichkeit zu entsorgen hat. Zwangsläufig wird aus der Versuchsanordnung ein vermintes Feld voller Kalauer. Sätze wie „Dann holte er die Eingeweide aus dem Reh, und sie war froh über den Schnaps“ oder „Sie wurde seine Hure. Oder Geliebte, je nachdem, wie man es betrachtete“ stehen dafür beispielhaft. Nicht zu vergessen die Annahmen: dass auf dem Land die Neugier verboten ist, keiner von Langeweile erschlagen wird und 80-Jährige wie Hundertjährige aussehen. Oder die althergebrachten Geschlechterrollen.

„Jede Beziehung ist ein Deal“, sagt Doris Knecht während der Diskussionsrunde. Nicht nur zwischen Franz und Marian, wo Nahrung gegen Sex eingetauscht wird. Auch zwischen der Autorin und den Zuhörern. Zeit und Geld gegen Verlustgeschichte. Dem Publikum hat es wohl gefallen. Und es war sogar geneigt, dahinter einen Beitrag zur Wertebesinnung zu vermuten. Ralph Findeisen

Ralph Findeisen

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