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Kultur: Sprachmächtig wuchtiges Schauspiel David Vann liest aus

„Die Unermesslichkeit“

Stand:

Die Kulisse ist majestätisch und bedrohlich zugleich. Eine riesige raue Wildnis aus dunklen Seen, Sümpfen, Wäldern und schneebedeckten Gebirgslandschaften. Abseits der wenigen Städte und Ortschaften Alaskas, weit draußen, in dieser urzeitlich wirkenden, menschenleeren Natur wollen sich Gary und Irene noch einmal gegen ihre Entfremdung aufbäumen und ihre defekte Ehe reparieren. Auf Caribou Island, einer keinen Insel vor dem Festland, möchten sie gemeinsam in einer selbst gebauten Blockhütte leben und sich wiederfinden. Doch gleicht diese nachgeholte Verwirklichung ihres 30 Jahre alten, einst verlockenden Traums nur mehr einem verzweifelten Rettungsmanöver. Einer so sinnlosen wie trotzigen, zum Scheitern verurteilten Flucht, die in Strömen eisigen Regens beginnt.

Auch in seinem neuen Roman „Die Unermesslichkeit“ (Suhrkamp Verlag, 22,95 Euro) platziert David Vann, der am kommenden Montag im Waschhaus zu Gast ist, seine Figuren in die abgelegenen undurchdringlichen Gegenden seines Geburtslandes Alaska, ohne jedoch eine etwa von Aussteigerromantik geschwängerte Abenteuergeschichte zu erzählen. Wie schon in der im letzten Jahr erschienenen Novelle „Im Schatten des Vaters“ gestaltet Vann auch diesmal ein sprachmächtig wuchtiges, bisweilen fast antik anmutendes Schauspiel, worin sich die vermeintliche Wildnisidylle dem Menschen gegenüber gleichgültig, düster, gewaltig und unberechenbar zeigt und damit dessen eigene Natur und seelischen Abgründe vergrößernd widerspiegelt. So droht der Neuanfang in der Einsamkeit auf Caribou Island schnell zur Farce zu geraten. Ein schlecht geplantes Unternehmen, das nur die Flucht vor dem eigenen Leben und das eigene Versagen sichtbar macht. Doch in seinem sturen Aktionismus hält Gary daran fest, will er den Glauben an die Rettung seiner Ehe noch nicht verlieren, wenngleich statt der erträumten behaglichen Holzhütte bald mehr ein windschiefer Schuppen entsteht, ein Verhau, durch dessen breite Ritzen überall der Eiswind pfeift. Uralte Trennungsängste, Hoffnungen und ein rätselhafter anhaltender Kopfschmerz hindern aber auch Irene daran, dem Spuk ein Ende zu bereiten und ihren Mann, nach der nächsten Tour zum Festland, einfach zu verlassen. Apathisch, frierend, in Sturm und Regen, baut sie weiter mit an der hässlichen Behausung. Mehr und mehr hüllen sich beide in ihre eigene Verbissenheit, und als der Winter hereinbricht, steht sich das Paar in spürbarer Feindseligkeit gegenüber.

Eine bedrückend bedrohliche Atmosphäre, die auch ihrer Tochter Rhoda, während der kurzen Besuche, nicht entgeht. Doch selber beschäftigt mit ihren sich auf den Nebenschauplätzen des Romans abspielenden Beziehungskämpfen und ohnedies von der Insel abgeschnitten, muss sie ohnmächtig mit ansehen, in welchen unentrinnbaren Strudel sich ihre Eltern offenbar begeben haben.

Und in den selbst der Leser unweigerlich gerissen wird, überlässt er sich der temporeichen, kraftvollen Sprache, den auffällig verknappten und doch prägnanten Sätzen, mit denen Vann sowohl exakte Tätigkeiten als auch die Innenwelten seiner Figuren zu beschreiben vermag, taucht er also ein in diesen Sog.

Buchpremiere von David Vanns „Die Unermesslichkeit“ am Montag, dem 16. April, um 20 Uhr im Waschhaus, Schiffbauergasse. David Vann wird aus der englischsprachigen Originalausgabe, Christian Brückner aus der deutschen Übersetzung lesen. Es moderiert Sigrid Löffler. Der Eintritt kostet 7, ermäßigt 5 Euro

Daniel Flügel

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