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Kultur: Sprachsuche

Mann, Brückner und Jazz im Nikolaisaalfoyer

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„Am Anfang waren Unordnung und Lustbarkeit.“ So jedenfalls sieht Klaus Mann die Anfänge der Menschheit und fasst seine Gedanken in einen Text, den Christian Brückner, bekannt vor allem als Synchronsprecher von Robert de Niro, am Donnerstagabend im Foyer des Nikolaisaal als Eingangsstück liest. Dabei klopfen die Hände des virtuosen, mehrfach ausgezeichneten Vorlesers, der beinahe auf der Stuhlkante sitzend, auf einem kleinen Holztisch mit gedrechselten Beinen lehnt, einen leichten Rhythmus. Dieser wird aufgenommen von den Musikern der Jazzwerkstatt, die, regelmäßig zu Gast im Nikolaisaal, sich der Herausforderung gestellt haben, auf die Texte von Klaus Mann einen eigenen Soundtrack zu improvisieren.

Und so wimmert, klopft und schleift es scheinbar unfertig und noch ohne gemeinsamen Rhythmus, als der sehr junge und hochtalentierte turnschuhtragende Pianist Michael Wollny, Kontrabassist Johannes Fink und Schlagzeuger Sebastian Merk auf dem Weg zu einer gemeinsamen Sprache sind, die schließlich so kraftvoll ist, dass man sich ihrem Sog kaum entziehen kann. Es scheint beinahe, als würden sie, gefangen im eigenen Spiel, keinen Ausweg mehr aus dieser musikalischen Spirale finden.

Christian Brückner, mit charmant zerzaustem grauem Harr und das Kinn in die Hand gestützt, den Musikern zugewandt, ist genauso von dem tranceartigen Gefüge gefangen, wie das Publikum.

Als die letzten Töne dieses ersten gemeinsamen Zusammenspiel verklingen, sind die Musiker sichtlich erschöpft von der eigenen Intensität und lassen sich erst einmal in den nächsten Text des rebellischen Klaus Mann fallen, der über den Wechsel „puritanisch-bürgerlicher Sittlichkeit“ hin zur „Überbetonung des Somatischen, dem Kult des Eros und des libidinösen Mirakels“ in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts philosophiert. Keine leichte Kost, die Brückner da aus den Werken des Autors gewählt hat, und trotzdem ungemein anregend und klug, ganz wie die Musik des Abends, die sich fernab des üblichen Jazzgeplätschers bewegt und statt dessen alle Sinne fordert.

Dass das nicht jedermanns Sache ist, zeigen die nach der kurzen Pause sichtlich gelichteten Reihen des kleinen Foyers. Doch die, die geblieben sind, dürfen nicht nur Teil haben an den biografischen Notizen über Kindheit und Exilerfahrung des Autors, die durch Christian Brückners warme, entspannte Interpretation des Textes beinahe lebendig werden. Auch die kreative Energie der Musiker und ihre totale Hingabe in das eigene Schaffen sind ein Genuss für Auge und Ohr. Pianist Michael Wollny krümmt sich beinahe im eigenen Spiel, um dann plötzlich wieder förmlich aufzuschnappen, die Knie anziehend und die Füße vom Boden hebend. So spielt er weiter, nicht, ohne den Kontakt zu seinen Mitmusikern zu verlieren. Kontrabassist Johannes Fink beugt sich den Saiten seines Instrumentes zu und hört auf ihren Klang, Schlagzeuger Sebastian Merk muss sich von allem abwenden, um auf den Dialog der Instrumente zu hören, die sich immer wieder die Töne wie Bälle zuwerfen und sich schließlich im gemeinsamen Spiel treffen.

Hatte der Ein oder Andere zu Beginn des Abends noch Skepsis, was das Zusammengehen von improvisiertem Jazz und dem Lesen hochintellektueller Gedankenspiele betrifft, so dürfte er am Ende dieses gut anderthalbstündigen Projektes vollkommen überzeugt sein von so viel gegenseitigem künstlerischem Respekt und dem sehr sensibel konzipierten Programm. Andrea Schneider

Andrea Schneider

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