zum Hauptinhalt

Kultur: „Sprich“ mal, Mississippi“

Gutes Boulevard-Theater in der Comédie Soleil: „Bitte nicht stören“

Stand:

Gutes Boulevard-Theater in der Comédie Soleil: „Bitte nicht stören“ Schreck am Morgen! Pappa Ben ist ante portas, und Norman hat ihm nichts von seiner Homosexualität erzählt! Käme er jetzt in den sechsten Stock seiner Berliner Wohnung, würde Pappa ihn mit Garson sogar in flagranti erwischen. Pappa Ben aus Eisleben steht tatsächlich vor der Tür, doch er hat ganz andere Probleme: Seine Reinigungsfirma ist pleite, zudem brannte Gattin Beatrice ausgerechnet mit seinem Bruder und Geldgeber Julius durch. Enttäuscht warnt er den Filius: „Lass bloß die Finger von den Frauen!“ Locker, flott und sehenswert beginnt die neue Produktion des „Theaters in der Brandenburger Vorstadt“. Sam Bobrick und Ron Clark hatten die Komödie „Bitte nicht stören“ in den sechziger Jahren geschrieben, das erste „Homosexuellen-Stück“ schlechthin, in mehr als dreißig Ländern der Welt aufgeführt. Es atmet auch auf der detailliert gestalteten Bühne (Peer Teichmann, Astrid Weiss) der „Comédie Soleil“ den Geist aus Toleranz und Versöhnung. In Anspruch und Machbarkeit ist die Spielvorlage ideal für Michael Klemms Privattheater, wo es immer elegant und nobel zuzugehen scheint. Regisseur Giorgio Lamberti hat die Handlung behutsam in Deutschlands Nachwendezeit verlegt und eine dem Namen „Comédie“ würdige Boulevard-Inszenierung daraus gemacht. Die Fünferbesetzung wird ausgewogen und sicher geführt, der Humor kommt nicht zu kurz. Weil Lamberti dieses Genre ernst nimmt, entsteht jene Leichtigkeit, welche gutes Boulevard so nötig braucht wie gute Resonanzen vom wieder unterbesetzten Parkett. Filius Norman (Nenad Zanic) hat die Reinigungsfirma seines Vaters (Hans Werner Bussinger) in Eisleben verlassen, um sich in Berlin „selbst zu finden“. Jetzt ist er Schaufenster-Dekorateur, sein Freund Garson (Michael Klemm) ein routinierter Eheberater. Von ihm erfährt der geplagte Thüringer die letzte Wahrheit. Kurz und schmerzlos. So fällt er aus allen Wolken, er glaubt es einfach nicht: „Sprich mal, Mississippi!“, fordert Paps vom gehorsamen Sohn. Später will er ihn mit der Nobel-Prostituierten Mary (Nadja Winter) therapieren – genauso vergeblich, wie sie auch bei Garson „versagt“. Es sind schnelle, heitere, luftige Szenen, jede Figur hat Profil und Format: Schratig mit breitestem Sächsisch der füllige Ben, Klemm spielt den Uranismus seiner Figur mit feinen Nuancen, als professioneller Therapeut ist er unwiderstehlich, wovon sich auch die ohne Reue zurückgekehrte „Mutti“ Beatrice (Christine Ast) bald überzeugen kann. Zanic hingegen deutet seinen Konflikt mit Vater und Freund zurückhaltend an, klug so, gut so. Weniges wäre anzumerken: Man findet in diesem hervorragend, weil szenisch, geschriebenen Stück Sätze wie „Gut dass du da bist – ich will dich nie wiedersehen!“ Tolles Futter für erfahrene Darsteller wie Bussinger, nur ließe sich manche Pointe noch besser setzen. Zweitens fehlt dieser Inszenierung aus heutiger Sicht vielleicht ein Funke Distanz. Große Versöhnung zwischen Vater, Mutter Kind, auch mit dem Freund, weil an mehr damals nicht zu denken war? Hier endet die Komödie, das wirkliche Leben beginnt. Man geht gemeinsam essen in Potsdam. „Ich kenne dort ein gemütliches Theater“, sagt Garson zum Finale, „da wird gerade eine hübsche Komödie gespielt...“ Richtig, nur fehlt es demselben gerade hier an öffentlicher Präsenz. Gerold Paul Nächste Vorstellungen: 30.6.-2.7, 20 Uhr, Feuerbachstraße 3.

Gerold Paul

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })