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Fast ein Leben lang wildfremd. Davon erzählt „Wildfremd – Peer auf der Platte“ von der Theatergruppe Tarántula.

©  Offener Kunstverein

Kultur: Springlebendig

Theatergruppe Tarántula feierte Premiere mit „Wildfremd – Peer auf der Platte“

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Alles ist in Bewegung. Hohes Tempo und eine erfrischende Heiterkeit bestimmen die Szenerie. Als am Wochenende die Theatergruppe Tarántula des Offenen Kunstvereins Potsdam anlässlich der Premiere von „Wildfremd – Peer auf der Platte“ diese kleine, mit dichtem Buschwerk umgebene Asphalt- und Betonlandschaft, „die Platte“, in eine bildstarke Bühne verwandelt, wechseln nicht nur die Szenen und Schauplätze rasch. Auch das Publikum folgt mit erfreuten Gesichtern ständig hinterdrein, würfelt sich durcheinander und verweilt kaum einmal länger an seinem Platz.

Was sich hier so lebhaft und ungekünstelt als gut einstündige Theaterperformance inmitten einer ausgelassenen Volksfestatmosphäre entfaltet und auch funktioniert, ist das Resultat eines Experiments. Die Idee, Henrik Ibsens Drama „Peer Gynt“ in einer freien Bearbeitung für eine Open-Air-Aufführung zu inszenieren, entstand bereits im Frühjahr 2011, als die Theatergruppe Tarántula bei einer deutsch-polnischen Jugendbegegnung eine erste Skizze zeigte, die fast ohne Worte auskam. So verwundert es kaum, dass die Aussagen des Stücks auch an diesem Abend von den insgesamt 20 Schülern der Neuen Gesamtschule Potsdam häufiger durch einzelne sprechende Bilder als durch hölzerne Dialoge vermittelt werden. Selbst die Hauptfigur Peer, den Martin Strohe mit sorglos nachlässiger Mimik schön in Szene zu setzen versteht, braucht auf seinen Selbstfindungstrips nicht übermäßig viele Worte, wodurch der von Veronika Riedel sehr souverän gespielte Knopfgießer, welcher Peer regelmäßig ins Gewissen redet, zu einer vergleichsweise fast auffälligeren Rolle avanciert. Stets prägnant, denn zerredet wird auch hier nichts. Es ist ein darstellendes Spiel, das vor mehreren natürlichen, bunt illuminierten Kulissen stattfindet und musikalisch sowie von Geräuscheffekten sehr gekonnt unterstützt wird, ein turbulentes und amüsantes Treiben, das von seiner Geschwindigkeit und der Spielfreude seiner immer wieder in neuen Kostümen auftauchenden Akteure lebt, ein bemerkenswertes Stück also, das da den weit über 200 Gästen aller Altersgruppen präsentiert wird. Verfolgen diese eben noch interessiert und belustigt, wie Peer, nachdem er die Braut eines anderen entführt hat, von einer aufgebrachten Dorfgemeinde quer über die „Platte“ gejagt wird, so stehen sie wenige Minuten später schon wieder vor einem anderen Schauplatz. Es ist die „Welt der Schrägen“, wohin es Peer verschlagen hat. Hier, unter Bäumen und Gebüschen, freundet er sich mit seltsamen trollähnlichen, unverständlich brabbelnden Wesen in grüner Kleidung an und zeugt mit der Tochter des Königs ein großes hässliches Kind, bevor ihm schließlich, wieder mit dem gesamten Publikum im Schlepptau, die Flucht gelingt. Nur eine von vielen. Denn wohin dieser Träumer und Aufschneider des Weiteren auch kommt, sei es in ein Kasino, sei es als Sklavenhändler auf einen orientalischen Basar, fast ein ganzes Leben lang fühlt er sich überall wildfremd, ist er ein Abenteurer ohne eigene Bestimmung.

Regisseurin, Ulrike Schlue, die vorher selbst viele Jahre als Schauspielerin und Autorin im Freien Theater tätig war, ist mit diesem springlebendigen „Stationentheater“ eine Inszenierung geglückt, die zeigt, mit wie viel Spaß und Vergnügen ein klassischer Coming-Of-Age-Stoff buchstäblich unter die Leute gebracht werden kann. Das Experiment hat sich gelohnt. Daniel Flügel

Wieder heute, 13 Uhr, auf der „Platte“, Knobelsdorffer/Ecke Haeckelstraße

Daniel Flügel

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