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Kultur: St. Nikolaus in St. Nikolai

Hans-Peter Minetti, Björn O. Wiede und Sibylle Juling beim „Ave Maria“

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Hans-Peter Minetti, Björn O. Wiede und Sibylle Juling beim „Ave Maria“ Lobpreisungen auf die Gottesmutter Maria sind in der evangelischen Kirche nicht gerade Mode, das bleibt meist den Katholiken überlassen. Björn O. Wiede machte am Tag des St. Nikolaus in der Nikolaikirche eine so merkwürdige wie bemerkenswerte Ausnahme, als wollte er ausgerechnet am Vorabend des 2. Advent den ökumenischen Brückenschlag zur „anderen Konfession“ erproben: Er stellte Mariengesänge des 19. Jahrhunderts in ein Programm, welches unter dem Titel „Ave Maria“ die Verkündigung eines „Marienevangelium“ versprach, obwohl es ein solches dergestalt gar nicht gibt. „Heilige Maria, Mutter des Herrn, bitte für uns Sündige, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen“, so der Refrain in den Kompositionen von Bizet, Dvorak, Saint-Saens und anderer. Der dunkel-herbe Mezzosopran Sibylle Juling''s versuchte diese innige Bitte an die „Himmelskönigin“ zwischen den biblischen Textpassagen des Lukas (Kapitel I und II. 1 - 20) zu transportieren, in den höheren Lagen besser, in den tieferen weniger. Fünfzig oder sechzig Zuhörer erlebten den einst staatsbekannten Ost-Schauspieler Hans-Peter Minetti, Sohn des vor Jahren in biblischem Alter verstorbenen Theater-Giganten Bernhard Minetti, als Leser und Interpreten der Bibel-Passagen. Bei seinen Kollegen nicht eben beliebt, nahm er in Theaterkreisen willentlich einen Rang ein, wie ihn Hermann Kant unter Ost-Schriftstellern hatte, als Vorreiter in Sachen „sozialistisch-realistischen Kunstbewusstseins“ mit engstem Kontakt zur „Führung“. Wer aber würfe den ersten Stein? Auch aus Saulus ist ja ein Paulus geworden. Hans-Peter Minetti ist zumindest ein rundum gut ausgebildeter Schauspieler, der mehr von Sprache versteht als jüngere seiner Kollegen. Seine Stimme kann schmeicheln und donnern, da, wo Gabriel Maria und Elisabeth die Geburt ihrer Kinder verheißt, das lange „e" von ewiglich in nie gehörtes Pathos treiben, alle Lobe preisen, verkündigen, weissagen, predigen, wie es bei Lukas geschrieben steht. Fast wenigstens. Er wählte eine langsame Gangart mit dramatisch eingefärbtem Erzählton, wer ihm glauben wollte, der glaubte ihm auch. Der Verein „Musik an St. Nikolai“ als Veranstalter hatte ihn zentral vor dem Altar positioniert, kleiner Tisch, roter Stuhl. „Ave Maria", wie der Engel Gabriel die Mutter Jesu“ grüßte, lief unter dem Titel „Konzertwinter 2003". Aber Björn O. Wiede schwebte wohl eher die Form einer musikalischen Andacht vor, darin sich sowohl der katholische Heilige St. Nikolaus (einer der 14 Nothelfer) unterbringen ließ, die Vorgeschichte von der Geburt des Heilands, als auch die sieben Mariengesänge, deren dritte von Jehan Alain (1911-1940) Sibylle Juling sehr innig vortrug. Besonders die so verschiedenen „Amen" waren schön zu hören. Eine Piece von César Franck führte in diese „Collage" ein. Oratorische Eindrücke entstanden durch des Kantors Versuch, Minettis Sprech-Parts mit eigenen Orgel-Improvisationen zu untermalen: Ging das Instrument in die Tutti, tat es Minetti auch – was dieser dramatisierte, spiegelte jenes noch einmal nach. Zuviel der guten Absicht in St. Nikolai. Irgendwie ging das so inszenierte Konzept nicht auf, zumal die Mezzosopranistin, wenigstens am Anfang, einen eher opernhaften denn spirituellen Ton mitschwingen ließ. O. Wiedes Collage war marienverehrend, konzertant, evangelistisch, andächtig, oratorisch, schließlich des theatralischen Ausdrucks nicht immer fern – fraglich, ob da immer Herz zum Herzen kam; den geistlichen Impuls dieser Veranstaltung wird ohnehin jeder an sich selbst geprüft haben. Ein Mirakel eben zum 2. Advent. Nach dem lyrischen „Ave Maria" von Joseph Rheinberger (1839-1901) tat sich drunten im Gestühl wie am Altar dann auch einige Verlegenheit auf. War es Verkündigung, war es Konzert? Heiliger Nikolaus, alles inmitten! Nur zögerlicher Applaus, nach dem Entschluss zur Verbeugung. Gerold Paul

Gerold Paul

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