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Kultur: Standard bleibt Standard

Philipp Weiss und sein Quartett im Foyer des Nikolaisaals

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Mal wieder Donnerstag im Nikolaisaal. Mal wieder Jazz im Kleinformat. Fünf Herren und die üblichen Verdächtigen aus dem „Great American Songbook“. Philipp Weiss und seine Musiker geben Standards. Mal wieder, denkt man, während der Blick über die noch leere Bühne geht. Und dann, zwei Stunden später, im Applaus nach der Zugabe, der Wunsch: Philipp Weiss, bitte, bitte, komm bald wieder und dann immer mal wieder.

Auf seinem Debütalbum „You must believe in spring“, aufgenommen in New York, an einem Sommertag des Jahres 2004, mit dem legendären Pianisten Steve Kuhn, präsentiert sich Weiss mit diesem melancholischen Dackelblick, der viel Herzschmerz, Pathos und ähnliches Getue erwarten lässt. Doch schon der erste Song, Bernsteins „Lucky to be me“, den Kuhns unprätentiöses Tastenspiel in eine Leichtigkeit hebt, von der das ganze Album getragen wird, zeigt, hier geht es ordentlich zur Sache. Und wenn Weiss“ Stimme das Kommando übernimmt, dann ist wirklich alles klar.

Am Freitagabend, im gut besuchten Foyer, lassen Philipp Weiss und sein Quartett den „Black bird“ zur Eröffnung steigen. So ein Beatlesklassiker, das übliche Aufwärmprogramm halt. Doch wie auf seinem Debüt setzt Weiss auch hier alles auf eine Karte. In seinem Gesicht, das auffallende Ähnlichkeit mit dem Pokerface das amerikanischen Schauspielers Woddy Harrelson hat, nur ein Strich von einem Lächeln. Dann der Griff zum Mikrophon, dann der Gesang und diese Runde geht eindeutig an Weiss.

Im Grunde macht Weiss es wie jeder Sänger, er singt. Logisch. Doch mal wieder hängt hier alles am kleinen Wie. Seine Stimme ist warm und weich, manchmal klingt die Zerbrechlichkeit eines Chet Baker an. Dann wieder lässt er sie aufsteigen, kraftvoll und rau, wie bei seinem großen Vorbild Tony Bennett. Doch der größte Trumpf seiner Stimme ist ihre Natürlichkeit.

Mit welcher Gelassenheit, mit welchem Selbstbewusstsein Philipp Weiss die Jazzstandards singt, dass ist fast schon wieder dreist. Lieder wie „The touch of your lips“, „My foolish heart“ oder „Make someone happy“ haben mittlerweile eine dicke Patina angesetzt. Manch ambitionierter Sänger versucht hier, jeden Ton neu zu erfinden, um so der Abgedroschenheit zu fliehen, die diesen Vielgespielten anhängt. Weiss schert sich nicht um die Patina, für ihn gehört sie dazu. Und so singt er die Klassiker auch immer so, wie man sie schon kennt. Doch langweilig werden sie trotzdem nie.

Dafür sorgen auch die Musiker an seiner Seite. Pianist Peter Wegele mit viel Blues in den Fingern, Andi Habert am Schlagzeug, wie Uli Fiedler am Bass, mal dezent, mal ruppig den Rhythmus tretend, und Kim Efert, mal an der Klassikgitarre, dann wieder am E-Brett, wo er Sinatras „I“ve got you under my skin“ schon fast als Rocknummer kraftstrotzend ins Foyer schleudert.

Weiss und Kollegen geben sich nett und ruppig. Denn Standards spielen heißt, noch nicht der Norm zu entsprechen. Und selbst wenn Weiss gelegentlich zum Scatten ansetzt, dann hat da jede Silbe, Kraft, Ausdruck und Charme, verkommt das nie zu diesem unsäglichen Lautgeknöddel, wie es manch andere halbseidene Sangeskünstler bis zum Erbrechen pflegen.

Philipp Weiss hat ein sehr großes Herz und das legt er in seine Stimme. Er singt, die Band spielt und manchmal vergisst man beim Zuhören fast das Atmen. So etwas will man einfach immer und immer und immer wieder erleben.

Dirk Becker

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