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Kultur: Starke Momente

Antje Rávic Strubel stellte ihren neuen Roman vor

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Sie hatte ein schönes Heimspiel an bestens vertrauter und mehr als gut besuchter Stätte. Als Carsten Wist am Freitagabend zur Auftaktveranstaltung der Herbstlese 2011 die Potsdamer Schriftstellerin Antje Rávic Strubel wie eine alte Bekannte begrüßte, glich das Obergeschoss seines Literaturladens einem arg überfüllten Seminarraum. Absehbar und erklärlich war der Andrang allemal, zählt Strubel, deren neuer Roman „Sturz der Tage in die Nacht“ kürzlich nur knapp die Endauswahl für den Deutschen Buchpreis 2011 verpasste, doch gegenwärtig zu den besten deutschsprachigen Autorinnen. Erfreulich also, dass sie an diesem Abend nicht von einer kahlen Lesebühne aus ihre Texte vortrug, sondern beinahe im Kreis ihrer Gäste saß und sogar bereitwillig aus dem Nähkästchen plauderte.

Ein Notizbuch führe sie nicht ständig mit sich rum, sagt Antje Rávic Strubel. Es seien vielmehr Beobachtungen, die sie irgendwo mache und an die sich erinnere, besonders starke Momente, in denen sie ein Bild so sehr beeindrucke, dass daraus später Stück für Stück oder manchmal auch in einem rauschhaften Prozess sich eine Geschichte entwickeln könne.

So war es auch mit dem Sturz der Trottellummen, jener Vögel, die auf einer kleinen schwedischen Ostseeinsel an der Steilküste nisten und ihre Jungen aus dem Nest hinabwerfen, bevor diese flügge werden. Dieser Sturz ist das zentrale, mehrfach wiederkehrende Motiv in Strubels neuem, klug durchkonstruiertem Roman, der eine Art moderner Gegenentwurf des Ödipus-Mythos ist, eine fatale Liebesgeschichte voller Natursymbolik und zugleich auch ein Stück Aufarbeitung von DDR-Vergangenheit, verpackt in einen Spionagethriller und erzählt in einer sehr sicheren, klaren und genauen Sprache.

Zwei Teile liest Antje Rávic Strubel an diesem Abend daraus vor. Den Anfang des Romans, als sich der 25-jährige Erik, während ihn die Fähre immer weiter von der kleinen Insel fortbringt, an die ersten Begegnungen mit Inez erinnert, an den Beginn des unbewussten Inzests. Doch auch die ersten Gespräche mit Rainer Feldberg, dem widerlich aufdringlichen und doch stets etwas komisch verzerrten ehemaligen Stasi-Spitzel, lässt Erik Revue passieren. Später, als Strubel den zweiten Teil liest, ist es Inez, die in Fieberträumen liegt und sich an Eriks leiblichen Vater erinnert. Felix Ton, ebenfalls ein Ex-Stasi-Mann, in den sich Inez als 16-Jährige verliebte, nach einer feuchtfröhlichen Begegnung im Klubhaus, doch gegen den Protest ihres Vaters, der seine Tochter eindringlich warnt und ihr vergeblich den „Umgang mit diesen Leuten“ verbietet.

Die Dialoge seien die Stärke des Buches, meint Carsten Wist und kommt auch auf die tatsächlich sehr filmischen Stoffe zu sprechen, die als Vorlage für ein Drehbuch dienen könnten. Doch ein solches zu schreiben stellt sich Strubel eher schwierig vor. Schon durch das pausenlose Umändern des Materials müsse man die eigene Welt des Autors verlassen und habe sein Buch selbst nicht mehr in der Hand, so die Schriftstellerin, die es eher liebt, Naturmomente zu intensivieren und in Sprache zu fassen, ja, für die selbst Vokale ihre eigenen Farben haben. Das sei jedes Mal auch entscheidend bei der an sich nicht immer leichten Namenswahl für ihre Romanfiguren, verrät sie.

Inez und Erik jedoch hätten ihre Namen recht schnell erhalten, nachdem ihr Gelb als ein „i“ und Silber als ein „e“ aufleuchtend vor Augen gestanden hätten. Eine Harmonie, die recht gut den Farbton der lichtstarken, friedlichen und urzeitlichen Landschaft auf der kleinen Vogelinsel vor Gotland treffe, findet die Autorin mit dem Faible für Schweden. Ihr Häuschen dort habe sie zwar aufgrund der teuren Ölheizung inzwischen wieder aufgegeben, doch sei ihre Liebe zu diesem Land, das einen Gleichklang erzeuge und sie schon oft zu Auslösern für Stoffe kommen ließ, nach wie vor ungebrochen.

Daniel Flügel

Daniel Flügel

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