zum Hauptinhalt

Kultur: Staunenmachend

Das Brandenburgische Staatsorchester mit „Reizenden Schweizern“ im Nikolaisaal

Stand:

„Grüezi miteinand“, leutselig begrüßt Moderator Clemens Goldberg den Dirigenten Howard Griffiths, in der Hoffnung, dem seit über 30 Jahren im Kanton Zürich ansässigen Wahlschweizer ein sprachzünftiges Willkommen entbieten zu können. Nach plaudernden Plänkeleien über solche Unmöglichkeit einigt man sich schließlich auf ein fortan allen verständliches Deutsch. Entgegenkommend, diese Schweizer. Und so reizend. Sie verführen Millionen in aller Welt mit löchrigem Käse und ebensolchem Bankgeheimnis. Sie locken Regierungschefs zur Europarettung in die Berge. Und komponistenmäßig? Haben sie eher wenig zu bieten. Was Howard Griffiths und die Musiker des Brandenburgischen Staatsorchesters Frankfurt dazu bewog, für das „Klassik am Sonntag“-Konzert im Nikolaisaal den neugierigen Potsdamern ein gleich vierfaches Angebot von „Reizenden Schweizern“ zu unterbreiten.

Den Auftakt macht Altmeister Frank Martin (1890-1974) mit seinem Jugendwerk „Sinfonie für burleskes Orchester“, in der es tatsächlich auch so zugeht. Kuckucksrufe, Nachtigallenschlagen und sonstiges Vogelstimmentirilieren sind in ein celestaliebliches, feingliedrig gewebtes Klangnetz eingesponnen. Vergnüglich bis pastorallieblich, stets tänzerisch beschwingt geht es in den drei Sätzen zu. Das Finale kommt zwar bombastisch, aber eben auch augenzwinkernd daher. Sehr apart. Hören sie Hackbrettklänge, sind Schweizer einfach glücklich. Ihnen hat Paul Huber (1918-2001) mit seinem 1994 entstandenen Konzert für Hackbrett und Streicher eine urwüchsige Kunde aus bodenständiger Tradition geliefert. Der 20-jährige Solist Christoph Pfändler versteht es bei seinen handgelenkslockeren und wieselflinken Klöppelarbeiten auf Stahlsaiten, jeden Ton mit ganz eigener Vibration zu umhüllen. So entstehen filigrane, zitherähnliche, farbenschillernde und verträumte Klänge. Dann bricht die Leidenschaft hervor, und das Liebliche verwandelt sich in metallisch hartes, scharfes Hämmern. Mit folkloristischen Wendungen angereichert singt sich das Adagio aus. In den Kadenzen zündet der Solist ein schier atemberaubendes Feuerwerk auf Saiten. Dem Jubel folgt eine noch rasantere Zugabe.

Ähnlich vollzieht sich der Auftritt von Arkady Shilkloper, der den Solopart des Alphornkonzerts von Daniel Schnyder (geb. 1961) auf die unnachahmlichste und staunenmachende Art bläst. Federleicht scheint das über drei Meter lange Arbeitsinstrument zu sein, das der russische Blasvirtuose mühelos auf das Podium trägt. Wie auf dem klappenlosen schweizerischen Nationalinstrument Klänge erzeugen?! Mit viel Wissen um physikalische Dinge wie dem Zusammenspiel von Lippenspannung mit ansaugendem Unterdruck. Oder so. Selbst die moderierende Plaudertasche bricht ihre Erklärungen alsbald ab, verweist auf das Hörergebnis. Es ist eine Mischung aus Jazz und Klassik, sozusagen eine Verbindung von Mattterhorn und Manhattan, bei der Blue-Notes mit Kuh-Notes originell verschmelzen. Hektisches Großstadttreiben à la Gershwin trifft auf Almidylle mit Kuhglockengeläut. Die drei Sätze folgen einander attacca. Viel zu schnell sind die blastechnischen Wunderwerkereien im vorzüglichsten Zusammenspiel mit den Orchestermusikern zu Ende. Der anwesende Komponist zeigt sich gleich den anderen Zuhörern restlos begeistert.

Abschließend dann die Reverenz an den Nationalhelden Wilhelm Tell – in Form der dynamisch und klanglich raffiniert, zwischen schmissig und sentimental musizierten Ouvertüre zur gleichnamigen Rossini-Oper. Ein lustiges Völkchen, diese Eidgenossen. Peter Buske

Peter Buske

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })