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Kultur: Stilprägendes Theaterunikum

Heidi Jäger

Stand:

Heidi Jäger Am 22. September 2006 wird sich am Havelufer in der Schiffbauergasse der Vorhang des neuen Theaters öffnen. In unserer Serie wollen wir an die vergangenen Jahrzehnte des Theaters erinnern, an Künstler auf der Bühne, davor und dahinter, an Schauspiel- und Musiktheaterereignisse, an Episoden aus dem Theaterleben Potsdams. HEUTE: Günter Rüger Er macht kein großes Aufheben um seine Person. Fast unscheinbar steht er in der Menge, mit seinem obligatorischen Stoffbeutel und der Zigarette in der Hand. Günter Rüger ist ein Beobachter, ein Zuhörer. Seine „Universität“ ist das Leben: Gern sitzt er beim Bierchen in der Kneipe, um den Leuten aufs Maul und in die Köpfe zu schauen. Schaumschlägerei ist ihm ein Gräuel. Mit dieser „Erdung“ hat das Potsdamer Unikum Theatergeschichte geschrieben. Was er ab 1954 auf die Bühne brachte, schöpfte er aus dem Innersten der Menschen. Regietheater zur Selbstdarstellung, nur um für Schlagzeilen im Feuilleton zu sorgen, ist ihm fremd. Seine Stärke sind die kritischen Realisten, zuvorderst die russischen. Damit kam er sich auch nicht mit den Ambitionen von Rolf Winkelgrund in die Quere, mit dem er über viele Jahre hinweg den Spielplan am Hans Otto Theater bestimmte. „Jeder hatte seine Vorlieben und seine Schauspieler . Und gefördert durch den Intendanten Gero Hammer konnten sich beide ohne Crash und Hysterien entfalten.“ Diese Zeit sei ihm in guter Erinnerung, so Dramaturg Michael Philipps, der in Günter Rüger einen Lehrmeister fand. „Er hatte einen unglaublichen Theaterinstinkt, Entgleisungen oder geschmackliche Verirrungen gab es bei ihm nie.“ Auch elend lange Diskussionen auf den Proben habe er nie erlebt. „Rüger stand für genaue, präzise Vorgaben. Die Schauspieler fühlten sich bei ihm gut aufgehoben. Er führte sie, ohne sie in ein Korsett zu zwingen.“ Rügers Inszenierungen, die auf gestandene Schauspieler wie Gertraud Kreißig, Hans-Jochen Röhrig, Gisela Leipert oder Günter Ringe setzten, haben sich fest in die Erinnerung eingeschrieben. Aber auch junge Leute wusste er geschickt zu führen, so dass Aufführungen wie „Morgen war Krieg“ zu einem überragenden Zuschauererfolg wurden – natürlich auch wegen ihres politischen Sprengstoffs kurz vor der Wende. „Noch ist Polen nicht verloren“, „Harold und Maude“, „Das Ballhaus“ – sie alle bestachen durch ihre Intensität, psychisch genaue Figurenführung und emotionale Kraft. Aber Günter Rüger ist nicht nur der profunde Stücke-„Verwerter“, der dem Autor gebührenden Tribut zollt. Er steht auch selbst gern auf der Bühne. Ob im Film, Fernsehen oder im Theater – seine meist kleinen Rollen füllte er stets sehr durchdacht und oft auch etwas skurril. Bis 1996 gehörte er zum Ensemble des Hans Otto Theaters, „überlebte“ die verschiedenen Intendanten – und ist bis heute gefragt. In „Krieg und Frieden“, „Onkel Wanja“ und „Was ihr wollt“ war er in der vergangenen Spielzeit als Gast engagiert, gab den Inszenierungen mit seiner eigenen Originalität eine besondere Facette. Eine köstliche Studie war sein Löscher Erich, der in „Feuerwehrball“ zum Ehrenhauptmann geschlagen werden sollte. Anders als in dem Stück, wo der Pokal abhanden kam, konnte sich Günter Rüger im wahren Leben über seinen Theaterpreis freuen. Er wurde ihm 1999 vom Förderverein übergeben und es gibt wohl kaum jemanden, der ihn mehr verdient hätte. Schließlich prägte Günter Rüger über Jahrzehnte den „Potsdamer Stil“.

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