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Ob auf dem Bordstein oder im Bordell: Sexarbeiterinnen haben seit Jahrtausenden Konjunktur – nicht nur auf dem freien Markt sondern immer auch in der Kunst.

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Kultur: Stimmen aus dem Stein

Clemens Meyer stellte im Waschhaus-Klub seinen neuen Roman vor

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Ganz unauffällig schleicht sich Clemens Meyer am Donnerstagabend auf die kleine Bühne des Waschhaus-Klubs und wirkt ein bisschen abgekämpft. Doch der Eindruck täuscht. Er schaue nur deshalb so betreten zu Boden, weil ihn hier keiner ankündige, witzelt Meyer, bevor er loslegt mit einer gut anderthalbstündigen Lesung und seinen Gästen zeigt, dass er ganz und gar nicht müde ist und auch keinen Moderator braucht. Nicht ausgeschlossen, dass Meyer sogar ein bisschen dankbar ist, viel mehr aus seinem neuen Roman „Im Stein“ vorlesen zu können, diesen so grandiosen wie ungewöhnlichen, aus vielen Erzählstimmen zusammengesetzten Text, ohne ihn mit seiner Person, seinem Image des „Gossenpoeten“ überblenden zu müssen.

Wie schon in seinen bisherigen Werken, „Als wir träumten“ etwa, oder „Die Nacht, die Lichter“, zeigt sich der Leipziger Schriftsteller auch in seinem neuen Roman wieder als einfühlsamer Chronist der kleinen Leute und Nachtgestalten aus der Halb- und Unterwelt. Sehr drastisch und detailliert erzählt er diesmal aus dem Rotlichtmilieu in einer ostdeutschen Großstadt. Etliche Prostituierte, Zuhälter und Freier, Dealer, Trinker, Taxifahrer und Kommissare kommen da zu Wort und reflektieren stets aus ihrer ganz eigenen Sicht das Geschäft der käuflichen Liebe. Meyer zeichnet die Figuren dabei weniger, sondern lässt vielmehr deren Stimmen als innere Monologe erklingen. Dabei wechseln die Zeiten, Orte und Szenerien, aber auch Erinnerungen;, lose Assoziationen oder etwa Schnipsel aus Werbung und Musik werden geschickt miteinander vermengt.

Wie jede dieser Stimmen ihren eigenen Klang und Sprachrhythmus hat, so liest Meyer an diesem Abend aus mehreren, meist spontan ausgewählten Kapiteln auch mit unterschiedlicher Betonung vor. Eine auf Kundschaft wartende Prostituierte etwa lässt er entspannt und fast ein wenig nuschelnd über ihren Berufsalltag, ihre Kindheit oder ihren Zigarettenkonsum sinnieren. Dann wieder beschreibt er die Stadt mit ihren aufgerissenen Straßen als atemlose, gehetzte Bilderflut, die selbstbewusste Gedankenrede eines BWL-studierenden Zuhälters wiederum klingt bei Meyer sehr nuanciert und zackig. Meier belebt all diese Texte und führt das Publikum auch stets ein, bevor er wieder ein Stück liest. Dabei verirrt er sich schon mal in den Zeiten oder verhaspelt sich gelegentlich mit den Wörtern, was ihn selbst aber meist eher amüsiert, als dass es ihn aus der Ruhe bringt.

Und gerade diese mit seinem feinen, seltsamen Humor gepaarte Unbeschwertheit ist es, die Clemens Meyer so sympathisch macht. Etwa wenn er plötzlich vorschlägt, doch ein Quiz zu veranstalten und die vielen Kürzel in den Erotikannoncen zu enträtseln, KB, AF, FO und so fort. Oder wenn er sich über so absurde Begriffe wie „Achselhöhlenfick“ wundert, die doch in seinem eigenen Buch stehen. Dann wieder bricht er ein Kapitel, in dem zwei Kripobeamte bei Cognac und Eierschecken über einen Mordfall grübeln, jäh ab mit den Worten: „Ach, der Fall klärt sich eh nicht auf.“ Wirklich perfekt wird der Spaß dann aber erst, weil er den Mörder dann doch verrät, so etwas sorgt für große Heiterkeit bei den Gästen.

Gar nicht heiter, sondern wütend wird Clemens Meyer aber, wenn er auf die aktuelle Debatte um ein mögliches Prostitutionsverbot zu sprechen kommt. Erst am Abend zuvor hat Alice Schwarzer mal wieder im Fernsehen mit einem „Bullen“, wie Meyer sich ausdrückt, über Sexarbeit diskutiert. Es geht dabei um die Frage, ob Frauen automatisch ausgebeutet werden, sobald sie Sex gegen Geld anbieten. Er leide, wenn er so etwas sehe, regt sich Clemens Meyer auf. „Der Kongress der Huren“, jenes kurze Kapitel aus seinem neuem Roman „Im Stein“, das er abschließend noch zum Besten gibt, wirkt da wie eine feurige Replik. Doch Meyer ist sich sicher, dass „wir am Ende immer noch nicht wissen, was für ein komisches Buch das eigentlich ist“.

Daniel Flügel

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