Kultur: Stimmenbiest

Es bleibt ein Dilemma: Manche Räume sind einfach zu groß für bestimmte Musik. Aber es gibt Künstler, sehr, sehr wenige nur, die dieses Dilemma förmlich mit einem Fingerschnippen vergessen machen. Dee Dee Bridgewater ist eine solche Künstlerin. Am Freitag war dieses Stimmenbiest im fast ausverkauften Nikolaisaal zu Gast. Mit dabei Edsel Gomez-Rentas am Klavier, Kenneth Phelps am Schlagzeug, Michaal Bowie am Bass und Théodore Croker an der Trompete. Vier Musiker, die allein den Besuch gelohnt hätten. Ohne Dee Dee Bridgewater hatten sie das Konzert eröffnet und schon in den ersten Minuten ihre Klasse unter Beweis gestellt. Phelps und Bowie lieferten lässig-locker-verspielt ein rhythmisches Fundament, an dem man sich gar nicht satt hören wollte. Gomez-Rentas ließ die Melodien tanzen wie Wechselbälger, fröhlich-verspielt und immer unberechenbar und Croker gab dem Ganzen mit seinem Trompetenspiel eine lässig-moderne Note. Doch das Dilemma blieb bestehen. Dieser Jazz braucht Nähe. In einem Konzertsaal bleibt da immer etwas auf der Strecke. Aber dann betrat Dee Dee Bridgewater die Bühne.

Viel Worte sollen jetzt nicht über diese Sängerin verloren werden. Denn was diese Frau mit ihrer Stimme machen kann, lässt Worte nur blass und mickrig wirken. Die 63-Jährige ist eine Hexenmeisterin, mit der Weisheit des Alters in der Stimme und der körperlichen Energie einer 20-Jährigen. Der großen Billie Holiday und der weniger bekannten Abbey Lincoln widmete Dee Dee Bridgewater den Abend im Nikolaisaal. Und es ist immer wieder ein Genuss, Dee Dee Bridgewater dabei zu erleben, wie sie Lady Day Reverenz erweist. „Good morning heartache“, um nur ein Beispiel zu nennen. Das ist ein Lied von Dee Dee Brigdewater, in dem immer auch diese ganz besondere Billie-Holiday-Note mitschwingt. Und wie die Musiker diese Themen aufnahmen und die Stimme der Brigdewater förmlich zu tragen schienen, da blieb einem einfach nur zu staunen und zu genießen. Glücklich darf sich nennen, wer an diesem Abend mit dabei sein durfte. Dirk Becker

Dirk Becker