Kultur: Stockend bis überhetzt
Die Kammerakademie enttäuscht im Nikolaisaal
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Überschwänglicher und subtiler kann man die Freude über die Geburt seines Sohnes nicht ausdrücken als mit einem klingenden Gruß. Richard Wagner tat es mit dem „Siegfried-Idyll“, ließ es zur Feier von Gattin Cosimas Geburtstag aufführen. Am Morgen, auf der Treppe der Villa in Tribschen. Idyllische Klänge strömten in ihr Schlafzimmer, ließen die Empfängerin angenehm erwachen. Hätte sie jedoch die Wiedergabe jener Morgengabe durch die Kammerakademie Potsdam unter Antonello Manacorda gehört, würde sie sich wohl die Bettdecke über den Kopf gezogen haben. Denn statt Wohlgefühligkeit hätte sie einen unpoetischen, spröden Streicherklang gehört, dem es an jeglicher Klangsinnlichkeit mangelte. Mit diesem weitgehend vibratolos gespielten Instrumentalstück eröffnete das Hausorchester des Nikolaisaals am Samstag die Saison der Sinfoniekonzerte.
Nichts gegen eine neue, unkonventionelle Lesart. Doch wenn Nüchternheit über Emotionen triumphiert, dann ist etwas schiefgelaufen. Gegen Ende zerbröselt das Konstrukt der Komposition, gerät das Gefüge durch ellenlange Pausen auseinander und das Fließen der Musik ins Stocken. Dazu vordergründige Bläser, buchstabierte Hornpassagen und forcierte Jubeleinwürfe: Intimität geht anders. Pastellfarbene Klangzeichnung auch. Doch von diesen Erfordernissen für die sachgerechte Wiedergabe eines romantisch geprägten Werkes will der Dirigent nichts wissen. Auch nicht bei der Deutung des Klavierkonzerts a-Moll op. 54 von Robert Schumann, dessen ausschweifende Fantasie genauso unter die Räder gerät wie der leidenschaftliche Dialog zwischen Orchester und Klavier. An dem obwaltet der schwergewichtige Norweger Christian Ihle Hadland seines pianistischen Hochamtes. Hörenswert sein nobler, überaus leichter Anschlag, der Poesie und Prosa gleichermaßen zu tastatieren und zu gestalten versteht.
Was nun überhaupt nicht auf Manacordas Linie liegt. Er nimmt des Solisten Angebote nicht an, fährt abrupt und vorlaut in jede lyrische Phrase hinein. Wie bei einer ausufernden Talkshow. Da wird erzwungen, was das Notenmaterial überhaupt nicht hergibt. Hat der gestrenge Zuchtmeister mit dem exakt gehandhabten Korporalstöckchen in der rechten Hand Angst vorm Herzeigen von Gefühlen? Der Pianist nicht. Er trifft den Schumannschen Ton, widersteht den taktschlagenden Vorgaben des Dirigenten. Ungleicher hätten beider Auffassungen nicht sein können: Kontrahenten statt Partner und ein ständiges Ringen um die Deutungshoheit. Der Pianist geht als Sieger vom Platz, vom Publikum umjubelt. Mit einer Pavane von William Byrd aus dem Jahr 1591 dankt er dem Beifall und offenbart mit filigraner Tastenpoesie sein zweites Ich.
Berserkergleich toben Manacorda und die aushilfeverstärkten Kammerakademisten durch Mozarts Sinfonie Nr. 39 Es-Dur KV 543, hinterlassen in der singenden und weichglänzenden Klanglandschaft Schneisen der Verwüstungen. Fast bis zur Unkenntlichkeit verhunzt, ist Mozarts Handschrift nur noch erahnbar. Vom ersten bis zum letzten Takt überdramatisiert, wird unter ständigem Hochdruck exekutiert, was Blas- und Streichmittel hergeben. Überhetzt, dann abrupt überdehnt – was soll das alles? Mit einem Faible fürs Fortissimo ist dem Werk nicht beizukommen. Vielleicht sollte allein der egomanischen Selbstdarstellung des Dirigenten Genüge getan werden? Riesenbeifall. Peter Buske
Peter Buske
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