
© Zaia Alexander/Promo
Von Daniel Flügel: Straffer Semesterplan
Die 8. Brandenburgische Literaturnacht machte ihren Besuchern die Entscheidung nicht leicht
Stand:
Man hatte es wirklich nicht leicht, wollte man sich am Samstagabend einen Gesamtüberblick verschaffen und überall möglichst viel mitnehmen. Denn es war ein zu kompaktes Programm, das den Gästen auf der 8. Brandenburgischen Literaturnacht geboten wurde: Insgesamt 17 Autorinnen und Autoren lasen in gut fünf Stunden an drei verschiedenen Orten meistens nur eine halbe Stunde lang aus ihren Texten. Viel Gutes lief bedauerlicherweise zeitgleich und manchmal auch nicht lange genug, dagegen half kein Plan. Kaum hatte man sich auf einen Text eingelassen, musste man wieder fort, wie ein Student, zur nächsten „Vorlesung“, die scherzhaft sicher auch so hätte lauten können. Das Motto der Veranstaltung: „Verbrechen und andere Vorkommnisse“.
Ruhig hatte alles begonnen im Waschhaus. Wie ein gemütliches Bahnhofskino wirkte der Saal, in dem sich die Sitzreihen gut füllten. Den lesenden Auftakt zu dieser Literaturnacht gab Reinhard Stöckel, der mit schneidender Stimme aus seinem neuen Roman „Lavagänger“ las und das Gelesene bisweilen kommentierte, was an trockene Seminare gemahnte und ein Eintauchen in den Text erschwerte.
Um den ersten Höhepunkt des Abends nicht zu verpassen, ging es bald eiligen Schrittes über den Hof, zur Reithalle, dem dritten Leseschauplatz, der einem schönen aber zu großen Caféhaus glich. Gut fünfzig Gäste hatten sich eingefunden, als die Literaturkritikerin Sigrid Löffler gemeinsam mit Jon-Kaare Koppe, Schauspieler des Hans Otto Theaters, sehr ausführlich den großen ungarischen Romancier und Tagebuchschreiber Sándor Márai vorstellte. Zurück im Waschhaus kam man da gerade recht zur Lesung John von Düffels, der mit minutiösen Beschreibungen aus dem Leben des Pensionärs und Klimaemigranten Jorge berichtete. Ein Text mit Ernst und Tiefgang und voll von humorvollen Momenten.
Nach einer der kurzen Pause fiel erneut die Entscheidung schwer, wem man den Vorzug geben wollte. Der Potsdamer Autorin Antje Ravic Strubel, die, oben im Salon, mit einer klaren pointierten Sprache von einer Motorradreise durch Norwegen erzählte oder doch lieber Rolf Schneider, der unten im Saal mit wuchtiger, betonungssicherer Stimme aus seinem neuen Roman „Marienbrücke“ las. Fast gleichmäßig hatte sich also das Publikum auf beide Lesungen verteilt. Indes hatten sich nur gut zwanzig Gäste in die Reithalle begeben, als dort endlich, nach großzügiger Verspätung die Berliner Regisseurin Gesine Danckwart mit ihrer Performance die „nachtboulevard“-Reihe „Neue Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ eröffnete. Doch was so großartig angekündigt worden war, entpuppte sich rasch als das sanfte Chaos einer Schultheatertruppe, die im stilisierten Smalltalk Fontanes Wanderungen oder die Stadt Potsdam zu sinnfrohen und fragwürdigen Begrifflichkeiten erhebt, um ihnen ein albernes, bemüht modernes und etwa gesellschaftskritisches Mäntlein umzuhängen. Ein Klavier klimperte dazu, es wurden Dias gezeigt, man nenne es Impressionen und liebäugelte mit gedämpften Lachern. Dagegen war zu gleicher Zeit im Saal des Waschhauses fast jeder Platz besetzt, als Ferdinand von Schirach aus seinem Buch „Verbrechen“ las. Glücklicherweise erlebte man hier nun einen wahrhaft begnadeten Vorleser, einen Autor, der die Zuhörer in seinen Bann gezogen hat. Die anfangs durchaus komische und zuletzt doch unfassbar tragische Geschichte von Teresa und Leonard las von Schirach mit einer am Ende fast beklemmenden Schärfe, so dass das Publikum anschließend erst einige Sekunden ergriffen schwieg und dann lang anhaltend applaudierte. Hingegen den heitersten Beifall mag der charismatische Peter Richter für seine Textauszüge erhalten haben. In seinem Debütroman: „Gran Via. Spanische Vorkommnisse“ erlebt ein Student der Kunstgeschichte den Wahnsinn des Alltags in Madrid.
Doch nicht erst zu diesem Zeitpunkt konnte man den Abend als gelungen bezeichnen. Im Rückblick auf die Qualität der vielen vorgelesenen, kurzen Texte, für die man sich letztlich entscheiden musste, blieben die völligen Enttäuschungen aus. Doch es waren tatsächlich mehr die Lesungen im Waschhaus, welche der Literaturnacht ihr Profil verliehen haben. Daran erinnert man sich gern zurück. Ausgelagert und vor vergleichsweise spärlichem Publikum spielten sich dagegen die zwei Großveranstaltungen in der protzigen Reithalle ab und vermittelten ein wenig das Gefühl, dass sie gar nicht zu dem sonst so straffen „Semesterwochenstundenplan“ dieser Literaturnacht gehörten.
Daniel Flügel
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