Kultur: Strahlende Schlichtheit
Mit der Messe in h-Moll wurden in der Friedenskirche die Bachtage Potsdam eröffnet
Stand:
Ob Johann Sebastian Bachs Messe in h-moll nun als „größtes musikalisches Kunstwerk aller Zeiten und Völker“ bezeichnet werden muss, sei dahingestellt. Als der Züricher Verleger Hans Georg Nägeli 1818 so enthusiastisch von Bachs Komposition sprach, konnte er noch nicht ahnen, dass es bis 1833 dauern würde, die Partitur in Druck zu geben. Noch einmal zwölf Jahre dauerte es, bis die Messe vollständig vorlag. Nägeli hat sich aufgerieben an seinem Einsatz für dieses Werk, das seiner Meinung nach „in keiner Sammlung von Kirchenmusiken, in keinem Sing-Institut, überhaupt in keiner Partituren-Bibliothek“ fehlen durfte. Bei Zeitgenossen stieß Nägelis Engagement nur in kleinen Kreisen auf Interesse. Doch es braucht immer wieder diese fast schon Donquichotterie von Menschen wie Nägeli, die an eine Sachen mehr als nur glauben. Denn oft ist es Zeit, die es braucht, bis der Wert eines Werkes von vielen erkannt wird.
Mit der h-moll-Messe in authentischer Aufführungspraxis wurden am Samstag in der gut besuchten Friedenskirche die Bachtage Potsdam eröffnet. Zum ersten Mal ist in diesem Jahr mit Polen ein Gastland benannt. An sechs der insgesamt zehn Veranstaltungen sind Künstler aus dem Nachbarland beteiligt. Neben drei Musikern war es bei diesem Eröffnungskonzert die Sopranistin Maria Skiba. Der Potsdamer Björn O. Wiede, Organisator und künstlerischer Leiter der Bachtage, agierte bei der h-moll-Messe als Dirigent. Und unter seiner Leitung war auf beeindruckende Weise zu erleben, was Bachs erster Biograph Johann Nikolaus Fockel meinte, als er 1802 schrieb, dass Bachs Musik als eine Sprache und der Komponist selbst als ein Dichter zu verstehen sei.
Schon die eröffnende Kyrie, mit den über Minuten immer wiederholten Rufen „Kyrie eleison“ (Herr, Erbarme dich unser) und „Christus eleison“ geriet zu einem ständigen flehentlichen, klagenden, dann wieder Hoffnung aufkeimen lassenden Bitten, das im Hörer regelrecht den Wunsch nach Erlösung weckte. Mit dem folgenden Lobpreis im „Gloria“ dann ein erlösendes Strahlen. Das Ensemble Exxential Bach jubelnd mit klarem, in jeder Stimme verständlichem, ausdrucksstarkem und angemessenem Ton.
Die fünf Sänger, ob im Chor, im Duett oder Solo, waren unter Wiedes gefühlvoller, auf jedes Detail konzentrierter Leitung, dem großen Ganzen der Messe verpflichtet. Keiner, der hier seine Stimme in den Vordergrund stellte. Maria Skibas weicher, Constanze Backes strahlender, in den Höhen kraftvoller Sopran, Sebastian Bluths wohl artikulierter und affektfreier Bass, Tobias Hungers gelegentlich etwas strenger Tenor und David Erlers sanfter, zurückhaltender und trotzdem ausdrucksstarker Altus gaben der h-moll-Messe eine ausgeglichene Vielstimmigkeit, die ihre starke Wirkung gerade durch diese Zurückhaltung und den Verzicht auf jeglichen Effekt erzielte. Und auch so überzeugte das Ensemble Exxential Bach: Mit einem schlanken, umso feineren und wohl akzentuierten Spiel.
Zum Ende hin, zwischen den „Osanna in excelsis“-Rufen (Osanna in der Höhe) des Chores, dann doch ein Solo, das herausragte aus der ausgeglichenen Vielstimmigkeit. David Erler mit „Agnus Dei“ . Dieses stille, maßvolle Flehen, das ein Thema aus der „Gloria“ aufgreift, ließ Erler mit seiner Altstimme fein leuchten. Ein tiefer, ein besinnlicher Moment. Ein letztes Innehalten vor dem finalen „Dona nobis pacem“ (Gib uns Frieden).
Diese h-Moll-Messe bot Leiden, Flehen, Jubel, Erhabenheit und Demut. Es wurde deutlich, dass das oft kritisierte Bruchstückhafte dieser Messe, weil Bach hierfür auf zu verschiedenen Zeitpunkten Komponiertes zurückgriff, kein Makel ist, sondern Tiefe offenbart. Auch wenn diese h-Moll-Messe nicht zwingend das größte musikalische Kunstwerk aller Zeiten und Völker ist. Unter der Leitung von Björn O. Wiede zeigten die Musiker, dass eine einfache Kerze mehr strahlen kann als ein prachtvoller Kronleuchter. Der Applaus wollte fast keine Ende nehmen.
Dirk Becker
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: