Kultur: Strawinsky in Hochform
Sinfoniekonzert der Kammerakademie
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Das wertvollste Juwel liegt gleich in der ersten Vitrine, so dass es am Schluss des Sinfoniekonzerts der Kammerakademie Potsdam unter der Leitung von Antonello Manacorda schon fast wieder in Vergessenheit geriet. Im fast ausverkauften Nikolaisaal erklingt Igor Strawinskys Concerto in re für Streichorchester als feingeschliffener Brillant.
Das Werk zitiert permanent Elemente der klassischen Tradition, wie Concerto grosso und Sonaten-Form, spielt elegant mit dem überlieferten Tonartensystem zwischen D-Dur und d-Moll und schenkt den Streichern anspruchsvolle und abwechslungsreiche Passagen. Doch die müssen gemeistert werden, um die unzähligen Facetten dieses Edelsteins zum Strahlen zu bringen. Die fast von allein spielenden Streicher der Kammerakademie wissen die Balance zu halten zwischen ätherischem Schweben, tänzerischen Wogen und den kleinen borstigen Ungebärdigkeiten in Rhythmik und Tonalität – neoklassizistischer Strawinsky in Hochform. Ludwig van Beethovens selten gespieltes Klavierkonzert Nr. 2 in B-Dur führt in die Sturm- und Drang-Welt des Komponisten. Die Kammerakademie nimmt es forsch, stellenweise mit harschen Kontrasten, gelegentlich vordergründig. Fast scheint es, als ob dem temperamentvollen Klavierspiel von Mihaela Ursuleanu ein Quantum eigener Klangmasse auftrumpfend gegenübergestellt werden solle. Pompös, kompakt rauscht das Adagio orchestral auf, bevor die Solistin ihr phänomenal farbiges Passagenwerk mit einer ganzen Palette von feurigen und lyrischen Klängen aufleuchten lässt. Hatte die junge Pianistin aus Rumänien, die für ihr erstes Album gerade einen Echo-Klassik-Preis erhielt, schon in der hochvirtuosen Beethoven’schen Kadenz am Ende des ersten Satzes ihr phänomenales Können unter Beweis gestellt, so steht das finale Rondo ganz unter ihrer Führung.
Beim rasanten Tempo der wilden Jagd über Stock und Stein beziehungsweise heftige Synkopen und ungestüme Akzente wird die Kammerakademie zum Verfolger. Erst recht Mihaela Ursuleasas Zugabe, eine Toccata des rumänischen Komponisten Paul Constantinescu, trotzt den immensen Herausforderungen souverän. Dass sich das Klavier dabei einmal mehr als Schlaginstrument entpuppt, kommt ihrem bravourösen Spiel, das keine technischen Hindernisse zu kennen scheint, sehr entgegen.
Ein Frühwerk ist auch Franz Schuberts Sinfonie Nr. 3 in D-Dur, welche er als Achtzehnjähriger in kürzester Zeit komponiert hat. Einflüsse von Mozart und Beethoven zeigen sich hier, ebenso wie Schuberts vorübergehende Begeisterung für Giacomo Rossini. Opernhafte Dramatik leuchtet in der Interpretation von Antonello Manarcorda immer wieder auf, lautstarke Sforzati, italienisches Feuer, klingendes Tonwerk.
Doch kleine Intermezzi der sehr gut aufgelegten kammerakademischen Holzbläser bringen ländlich-liebliches Kolorit hinein. Wie bereits bei Beethoven steht auch hier der vierte Satz im 6/8 Takt, nur diesmal im noch schnelleren presto vivace. Keine Beethoven’schen Rondo-Variationen mehr, bei Schubert ist es der durchgehende Rhythmus einer Tarantella. Was von hohen Drehzahlen und kreiselnden Wirbeln bestimmt wird, klingt letztlich wie eine Mühle, die sich überdreht hat. Harte Paukenschläge markieren den entfesselten Klangrausch der Instrumente. Auf den begeisterten Applaus folgt die Wiederholung des Menuetts aus der Schubert-Sinfonie. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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