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Kultur: Streng abgezirkelt und roboterhaft Konzeptanz: Anne Teresa De Keersmaekers „Rosas“

Wie ein Fanal wirkte das neue Tanztheater von Anne Teresa De Keersmaeker in den achtziger Jahren. So radikal wie die belgische Künstlerin hatte noch keiner mit dem traditionellen Bühnentanz aufgeräumt.

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Wie ein Fanal wirkte das neue Tanztheater von Anne Teresa De Keersmaeker in den achtziger Jahren. So radikal wie die belgische Künstlerin hatte noch keiner mit dem traditionellen Bühnentanz aufgeräumt. Dementsprechend groß war das Interesse im ausverkauften Hans Otto Theater, wo das Werk „Rosas“ vor einem überwiegend jungen Publikum aufgeführt wurde. Binnen 100 Minuten gab es vier junge Tänzerinnen zu sehen, die teils quälend langsam, teils rasant schnell mit abgezirkelten, roboterhaft wirkenden Körperbewegungen in strengen Formationen über die Bühne turnten. Die einheitlich mit grauen Röckchen, blauen Hemdchen und schwarzen Leggings bekleideten Tänzerinnen erinnerten an Schulmädchen, umso mehr nachdem sie dicke, braune Halbschuhe angezogen hatten. Diese Kostümierung setzte einen irritierenden Kontrapunkt innerhalb der Choreographie, die sich durch radikale Abwesenheit von Handlung und Aussage auszeichnet.

Zu Beginn drehen und wenden sich die Mädchen auf dem Bühnenboden, ohne Musik, nur das Unisono ihrer Atemgeräusche bildet eine Klangkulisse.

Im Mittelteil finden Sitztänze auf regelmäßig verteilten Stühlen statt, wozu sehr laut eine Art hämmernder Maschinenmusik erklingt. Wie aufgezogen vollführen die Mädchen ihre streng linearen, abgewinkelten Bewegungen, wiederholen die Muster in endlosem Ostinato. Selbst eine Marionette scheint mehr Gefühl, mehr Leben zu besitzen als diese vier Automatenwesen, die aus einem Testlabor für Computertechnik zu stammen scheinen. Durch die permanente Wiederholung stets gleicher Abläufe wird auch noch die kleinste Geste, wie etwa das Entblößen einer Schulter, das Streichen über den Kopf, jeder Bedeutung entleert.

Das hat Methode und zeigt den antiessentialistischen Kern der Aufführung. Was in der Bildenden Kunst und in der Musik seit den fünfziger Jahren zu einer ästhetischen Norm wurde, Informel, Abstraktion und Minimalismus, hat bei Rosas eine Entsprechung im Tanz gefunden. Konzepttanz lautet das Stichwort für diese Bewegungskunst, bei der die formale Strenge rigoros auf die Spitze getrieben und, vielleicht, ad absurdum geführt wird. Doch bei aller zur Schau gestellten artistischen, hochartifiziellen Intensität der Darstellung ermüdet der Anblick und langweilt auf Dauer. Im Verein mit der aufdringlichen Klangkulisse strapaziert die Darbietung über Gebühr Gehör, Nerven und Verstand. Auch das Konzept der Konzeptkunst überlebt sich im Laufe der Zeit.

Bei den ersten Aufführungen im Jahr 1983 verließ manch ein Besucher empört den Saal. Im Hans Otto Theater bleiben alle brav sitzen, doch als die schlagenden Rhythmen abrupt aufhören, brandet sofort Applaus auf, der wie erlöst wirkt – dabei war das Stück noch gar nicht zu Ende. Erst danach folgt das Finale in befreiender Stille. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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