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Kultur: Strudel im Spülbecken

Drei Bands im Casino

Im Casino, draußen im Potsdamer Norden auf dem Campus der Fachhochschule, erlebt man noch einen Ort, den man in Potsdam nur noch selten vorfindet: eine beschützend-rustikale Einfachheit, wo Kunst auf nackte Wände trifft. Genau diese Orte, die früher in der Schiffbauergasse vernichtet wurden und die jetzt gerade vor unseren Augen auch mit dem Archiv in der Speicherstadt zerstört zu werden drohen. Aber auch um das Casino ist es in letzter Zeit etwas ruhig geworden, höchste Zeit, mal wieder einen Blick hineinzuwerfen.

Am Mittwochabend war es jedoch vorbei mit dieser Ruhe im Casino. Gleich drei Bands zeigten sich auf der Bühne, und obwohl sie stilistisch unterschiedlich waren, einte sie ein hypnotisierender musikalischer Effekt. Das fing mit Conium an, die ja in Potsdam zu einer unbestreitbaren Instanz des Stonerrock geworden sind. Obwohl: So richtig passen sie gar nicht in diese Schublade, manchmal klang das eher wie Muse, abwärtsstrudelnde, breite Musik, die jedes Überraschungsmoment unterdrückte. Der Sänger klebte halb sterbend, die Dreadlock-Antennen zur Decke ragend, am Mikrofon, ein bisschen 70er-Jahre-Stil, der dann doch wieder Klassikern wie Kyuss huldigte – stilistisch zu greifen waren sie allerdings nie. Diese paralysierende Faszination glich dem Blick in den Strudel eines Spülbeckens, eine Kombination des Filigranen mit dem Brachialen, das immer wieder ausbrach. Dabei konnte man sich in regelmäßigen Abständen wundern, dass ein so kleiner Raum eine so tiefe Großraumakustik erzeugt. Nur für die beiden, die rechts an der Bar saßen und aufgeregt aufeinander einredeten, schien die Zeit nicht stillzustehen, während das Publikum wie eingefroren wirkte.

Genau in diesem hypnotischen Duktus ging es weiter, auch wenn bei Wilson der Faktor Lautstärke zum Fallstrick wurde: Das Volumen des Sängers reichte gerade dafür aus, dass man merkte, dass er etwas sang – der Text war jedoch nicht mal mit einem Hörgerät zu verstehen. Für eine inhaltsfixierte Band wie Wilson glich das natürlich einem Nackenschlag. Schade, aber auch wenn Wilson ihrer Lyrik kastriert wurden, kam der mit Indie-Anleihen verzierte Punkrock gut an, was auch an ihrer Routiniertheit lag. Ein cooles Konzert, dem einfach die Texte fehlten, mit einem Bassisten, der sein Instrument auf Kniehöhe spielte – ein nicht zu unterschlagender optischer Pluspunkt.

Somepeopledrown als dritte Band des Abends gingen dem Vokalischen auch gleich sicherheitshalber aus dem Weg. Postrock? Ja, Postrock: ein ziemlich gut gemachtes in die Höhe Schrauben, das von tiefen Gitarrenriffs und sphärischen Keyboards unterstützt wurde. Im Gegensatz zu Wilson war der fast komplett fehlende Gesang hier ein eindeutiger Pluspunkt, das Zuhören auf die Musik beschränkt. Man ließ sich gern einlullen, eine fast traurig-melancholische Melange aus Moll-Akkorden, die wieder nur die beiden Typen an der Bar kaltließ. Kleine Postrock-Lektion? Ziemlich breit ausufernde Musik, in der das Schlagzeug unvermittelt nach vorn springen kann. Und tragisch muss es sein: Die einsetzende Versteinerung machte jede Bewegung unmöglich und hallte lange nach. Dafür lohnt es sich allemal, ins Casino bis zur Pappelallee rauszufahren. Oliver Dietrich

Oliver Dietrich

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