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Kultur: Stumme Leidenschaft

„Sehnsucht“ von Valeska Grisebach im Filmgespräch an der Hochschule für Film und Fernsehen

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Jeder der Filmstudenten an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf in Babelsberg wünscht sich eine solche Aufmerksamkeit, wie die 1968 geborene Valeska Grisebach für „Sehnsucht“ erhalten hat. Doch der Erfolg ist mit leichten Wehmutstropfen versetzt: Zwar schaffte es ihre zweite Regiearbeit 2006 in den Wettbewerb der Berlinale, aber einen Preis gab es nicht.

Bemerkenswert ist „Sehnsucht“ in vieler Hinsicht: da spielen Laien mit großem Engagement und so natürlich, dass manch Profi ihnen diese Unmittelbarkeit neiden mag; da wird eine dokumentarische Ästhetik, die die Tristesse des kleinen brandenburgischen Dörfchens Zühlen bis an die Grenze der Monotonie dehnt, mit dem scheinbar unpassenden Monsterthema Sehnsucht kombiniert; da wird in der dörflichen Trägheit des glücklichen Ehelebens erst mal das Drama „Romeo und Julia“ von der noch nicht hintergangenen Ehefrau erzählt, und keiner glaubt, dass so etwas auch in der hiesigen Provinz stattfinden könnte.

Aber dann wird es vom Shakespearschen Verona ins brandenburgische Dorf so weit übersetzt, bis die Rose genannte Julia (Anett Dornbusch) tatsächlich von einem Balkon fällt. Plumps, macht es, und dadurch erhält das Drama eine weitere Wendung, denn sie, die des stummen Markus“ (Andreas Müller) Herz besetzt, will ihn danach einfach nicht mehr sehen.

Und plötzlich kommt ihm, der zu Beginn der Geschichte seiner Frau Ella verspricht „Ich würde alles für dich tun“, auch die Gattin abhanden. Bleibt dem Schlosser nur, in seiner Werkstatt einen Hasen zu umzärteln, nachdem er sich in einem offensichtlichen Mangel an Mut doch nicht mit der Schrotflinte erschießt. Also streichelt er den Hasen, die Kamera bleibt weiter bei dem Langohr, das munter Löwenzahn mümmelt, peng, geht der Schuss doch los und Markus fliegt durch die Werkstatt.

Überraschungen gibt es immer wieder in „Sehnsucht“, und gewöhnungsbedürftig ist der Wechsel zwischen äußerster Dehnung der Zeit – wenn man zum Beispiel sehr lange darauf warten muss, dass Markus einen Satz sagt – und ihrer Raffung. Als nämlich Markus mit seinen Kameraden von der Freiwilligen Feuerwehr einen Fortbildungskurs besucht, eben noch zu Robbie Williams „I just wanna feel real love“ selbstversunken alleine tanzt und – Schnitt – am nächsten Morgen im Bett der Kellnerin Rose aufwacht, wird das Eigentliche weder gezeigt noch gesagt. Dafür spricht Ella (Ilka Weltz), davon „wie ich dich begehre“. Sie dreht dabei die Worte in ihrem ungeschminkten Mund so sehr, dass man Angst hat, sie könnten ihr wie dritte Zähne einfach raus fallen, und scheinbar geht Markus auf ihre Sehnsucht ein. Am Ende sprechen ganz heutige Jugendliche auf einem Dorfplatz über diese Geschichte, die durch die knallharte Mischung realistischer und märchenhafter Motive zumindest aufhorchen lässt, wenn nicht gar verstört.

Valeska Grisebach wurde in einem Gespräch mit Filmstudenten an der HFF auch auf das fremde Milieu angesprochen, das sie zeigt. Sie habe die Menschen sofort gemocht, gab die Regisseurin als Erklärung an. Und sie ließ die Studenten auch mit den Fragen nach der Ausstattung allein, die bis zur Sprühsahne und knarrenden Campingstühlen zwar authentisch wirkt, aber ohne Fernseher und Satellitenantennen wiederum etwas Artifizielles hat.

Valeska Grisebach berichtete, dass sie das Thema zunächst „irgendwie diffus“ kannte, sich aber mittels Interviews und fremden Geschichten erst mal an die „Wucht der Sehnsucht“ heranpirschen musste. Und dass die auch in einem brandenburgischen Dorf aufflammen kann, hat sie mit ihrem Film durchaus glaubwürdig bewiesen.

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