Kultur: Stürme der Leidenschaften
Gelungene Besetzung: Das Bad Lauchstädter „Teseo“-Gastspiel im Schlosstheater im Neuen Palais
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Gelungene Besetzung: Das Bad Lauchstädter „Teseo“-Gastspiel im Schlosstheater im Neuen Palais Von Peter Buske So trifft man sie wieder. In der Mythologie. Wie Theseus, späteren König von Athen, den man aus Shakespeares „Sommernachtstraum“ kennt und der von Lully und Britten zum Gesangshelden erkoren wurde. Ist er nun Sohn des Gottes Poseidon und der Aithra oder nur des mythischen Königs Aigeus? Er will es herausfinden, vollbringt unterwegs schnell noch ein paar Heldentaten und trifft in Papas Residenz ein. Dort hofft Medea, unsere zweite Bekannte aus der Mythologie, auf die Heirat mit König Aigeus (auch Egeo genannt), nachdem sie wegen Mordes aus Korinth entflohen war und per Drachenwagen in Athen landete. Doch die zauberkundige Tochter des Kolchier-Königs Aietes, die im Morden von Geliebten, Konkurrentinnen und Kindern wahrlich nicht kleinlich ist, harrt vergeblich auf die Einlösung königlichen Eheversprechens. König Egeo begehrt vielmehr die junge Schöne Agilea, will deshalb Medea zur ehelichen Zweitverwertung an seinen ihm bislang unbekannten Sohn Theseus (Teseo) weiterreichen. Was die stolze Zauberin nicht sonderlich originell findet. Auch weiß sie, dass Teseo und Agilea einander lieben. Logisch, dass Medea vor Eifersucht schäumt und vor Wut rast und deshalb allerlei Mittelchen aus ihrer magischen Trickkiste hervorholt. Wozu vorzugsweise die Hypnose gehört. Gleichsam als klinische Fallstudie führt es der Regisseur Axel Köhler bei seiner spannenden Inszenierung des italienisch gesungenen Dramma tragico per musica „Teseo“ von Georg Friedrich Händel vor. Gemeinsam von den Händel-Festspielen Halle, des Goethe-Theaters Bad Lauchstädt, der Festwochen Hannover-Herrenhausen und des Festivals Bayreuther Barock produziert, hat die Szenen-Anfertigung zum Abschluss ihrer diesjährigen Aufführungsserie auf Einladung des Hans Otto Theaters nun auch im Schlosstheater im Neuen Palais vorerst für vier Gastspielabende Station gemacht. Von einer Premiere zu sprechen, verbietet sich daher. Nicht, dass die hiesige Aufnahme den Bravojubeln der Premiere in Bad Lauchstädt durchaus ähnlich war. Was sicherlich auch mit daran liegt, dass Axel Köhlers witzige, temporeiche, augenzwinkernde und antipathetische Lesart von Anfang bis Ende den lustvollen Umgang mit den barocken Noten betont. Seine herrlichen und überzeugenden Einfälle gewinnt er sich einzig und allein aus der spritzigen, gefühlsberstenden, sentimentalen, von Liebe, Leidenschaften und Intrigen erzählenden Musik. Ihr über reichlich drei Stunden zu lauschen, bedeutet köstlichen Genuss. Zumal mit der Lautten Compagney Berlin unter der anspornenden musikalischen Leitung von Wolfgang Katschner ein Ensemble von Alte-Musik-Spezialisten und Erzmusikanten am Werke ist, das akzentbetont und forsch, rhythmisch exakt aufspielt, um weite und weiche Legatolinien keinen Bogen macht. Was durch sie an spannenden Impulsen aus dem Orchestergraben auf die Bühne tönt, steht zu der kargen Szenerie in reizvollem Kontrast. Schwarze Versatztafeln werden hängend verschoben. Sie schaffen immer neue überschaubare Spiel-Räume für die Protagonisten. Wie der Bühne, so ist auch den Kostümen jeglicher barocker Pomp ausgetrieben (Ausstattung: Stephan Dietrich). So können, ohne Hinderliches wie Korsagen oder Reifröcke, die Sängerinnen und Sänger sich auf ihr eigentliches Metier konzentrieren: natürliches Gestalten. Dennoch lodern ihnen die Affekte aus Seele und von Stimmbändern, dass es die Ohren geradezu verzückt. Drei Countertenöre geben sich die Ehre. Eitel spreizt sich König Egeo in Gestalt von Johnny Maldonado. Sein kokettierender Koloraturengesang korrespondiert vorzüglich mit entsprechenden Posen, die die Figur ins Lächerliche ziehen. Mit markantem, metallisch vergütetem Altus singt Thomas Diestler den Arcane: kraftvoll in seiner Eifersucht, empfindungstief in seiner Liebe zu Clizia (soubrettenlieblich und lyrisch weich: Marina Spielmann, Absolventin der Bayerischen Theaterakademie) – ein jungleidender Werther. Kraft– und glanzvoll singt Sopranist Jörg Waschinski einen Helden aus barock-modernem Fleisch und Blut, wie wir es von ihm seit Jahren gewöhnt sind. Seinem Spielen und Singen merkt man die pure Wahrhaftigkeit an! Ähnlich beeindruckend vermittelt Maria Riccarda Wesseling mit ihrem glutvoll-vibrierenden Mezzosopran ein überragendes Charakterporträt der von Macht besessenen und von Seelenneid zerfressenen Medea. Wie sie, ganz in Schwarz, auf ihrem Doppelbett lagert und ihre Hinterhältigkeiten ausbrütet, den Reizen von Teseo durchaus empfänglich, die Nebenbuhlerin erniedrigt – all das führt sie mit beklemmender Intensität vor. Sie ist eine Furienchefin, Zauberin, Strippenzieherin und Intrigantin vom Feinsten. Dass ihr dabei die Sopranistin Sharon Rostorf-Zamir eine echte Gegenspielerin ist, gehört zu den Vorzüglichkeiten der rundum gelungenen Besetzung und Personenführung. Lieblich und lyrisch singt sie von ihrer Liebe zu Teseo, koloraturenjauchzt in den höchsten Tönen. Bei ihrer ersten Krönungszeremonie (als Zwangsgattin von Egeo) überzeugt sie mit Gestaltungswitz und Stimmartistik wie auf dem Hochseil, bei der zweiten (zur echten Königin an der Seite von Teseo) durch anrührende Innigkeit. Alles könnte so schön enden, wenn Medea zusammen mit Furien (Studenten des Instituts für Musikpädagogik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) nicht den Palast in Brand zu stecken versuchte. Für den glücklichen Ausgang des Geschehens steht der herrliche Regie-Einfall eines personifizierten lieto fine: ein Bote der Minerva (Matthias Ott) erscheint mit einem riesigen Notenblatt, wo der gute Ausgang niedergeschrieben ist. Köstlich! Weitere Vorstellungen: 8. und 9. November, Schlosstheater im Neuen Palais.
Peter Buske
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